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Weisser Schrecken

Weisser Schrecken

Titel: Weisser Schrecken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Finn
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die Auslage eh nicht erkennen können, da sich hier, wie überall in der Brennergasse, eine graue Eisschicht auf die Glasscheiben gelegt hatte. Andy spähte nach allen Seiten, marschierte um eine Hausecke und kam mit einer Leiter zurück, deren Sprossen mit Hauben aus vereistem Schnee bedeckt waren. Er baute die Kletterhilfe unter dem Fenster der Zwillinge auf.
    »Und wie soll es jetzt weitergehen?«, fragte Elke leise.
    Andy trat vor sie und bettete ihr Gesicht in seine Handmuscheln. Unter normalen Umständen hätte Robert jetzt einen lockeren Spruch gemacht, doch die Geste wirkte selbst auf ihn anrührend. »Ich weiß es noch nicht. Lass uns etwas Schlaf finden. Morgen sehen wir weiter. Ich verspreche dir, wir werden herausfinden, was es mit alledem auf sich hat. Irgendwas wird uns schon einfallen.« Andy küsste Elke zum Abschied. Robert und Miriam sahen sich schräg an, doch keinem von ihnen war nach Lächeln zumute. Anschließend kletterten die beiden Mädchen vorsichtig die Leiter nach oben und öffneten ihr Fenster. Seltsam, eigentlich hätte es offen stehen müssen; aufgedrückt vom Sturmwind. Ein weiterer Hinweis darauf, dass es bei dem Orkan nicht mit rechten Dingen zugegangen war. Erst als Elke ihnen bedeutete, dass alles okay sei, rückte Andy die Leiter wieder beiseite und stellte sie hinter der Hauswand ab.
    Schweigend traten sie den Weg Richtung Sägewerk an. »Morgen wird mir meine Mutter einige Fragen zu beantworten haben«, schimpfte Robert, als sie die Brennergasse verlassen hatten. »Inzwischen sollte sie ausgenüchtert sein.«
    »Wenn sie überhaupt etwas weiß«, gab Andy zu bedenken. »Zumindest weigere ich mich, an die Verschwörungstheorie des alten Hoeflingers zu glauben.«
    Robert pflichtete ihm bei. »Vielleicht wissen nicht alle von dem regelmäßigen Verschwinden der Jugendlichen, aber einige vermutlich schon.«
    »Ja, davon ist auszugehen.« Andy testete kurz seine Taschenlampe, die noch immer hell brannte. Als sie den Ortsausgang erreicht hatten und das Sägewerk in Sicht kam, blieb er plötzlich stehen. »Sag mal, wie spät ist es jetzt eigentlich?«
    Robert sah auf seine Uhr. »Halb zwei.«
    »Bist du erledigt, oder könntest du dich noch zu einer kleinen Unternehmung aufraffen?«
    »Nach allem, was wir heute bereits durchgemacht haben?« Robert musterte seinen Freund unglücklich und stellte den Kragen auf. Er war erschöpft. Dabei war ›erschöpft‹ eigentlich kein Ausdruck. Seine Brandblase tat weh, und ihm grummelte der Magen, nachdem er sich vorhin übergeben hatte. Wenigstens war ihm durch das Feuer wieder warm geworden, nur dass seine Jacke jetzt intensiv nach Rauch stank. Doch ehrlich gesagt war ihm all das im Moment egal. Er hätte eh nicht schlafen können. »Sag schon, was hast du vor?«
    »Was hältst du davon, wenn wir unserem sauberen Pfarrer Strobel einen Besuch abstatten?« Andy präsentierte zu seiner Verblüffung das Brecheisen, von dem Robert angenommen hatte, dass es unter den Trümmern des Bootsschuppens begraben lag.
    »Jetzt? Du willst bei ihm ins Pfarrhaus einbrechen?«
    »Pfarrhaus. Kirche. Ist doch scheißegal. Der Kerl verheimlicht uns etwas. Nur, dass er mit etwas Glück im Moment schläft.« Andy schnaubte verächtlich. »Die Alternative ist, dass wir morgen unvorbereitet mit ihm irgendwo im Wald stehen und Liedchen trällern. Weihnachtslieder womöglich … Glaub mir, darauf habe ich echt keinen Bock.«
    »Okay.« Robert nickte lahm. Trotz des Risses in der Wolkendecke hatte es inzwischen wieder zu schneien begonnen. »Geht sowieso gerade alles den Bach runter. Warum also nicht noch ein Einbruch bei Strobel?«
    Die beiden machten kehrt und schlugen den Weg zum Marktplatz ein. Robert dachte gerade darüber nach, wie gespenstisch der menschenleere Ort war, als sie bei der kleinen Kreuzung vor ihnen hallende Geräusche vernahmen. Darin mischte sich ein schweres Stapfen und Keuchen. Andy blieb stehen, sah sich alarmiert zu ihm um und schlich voran zu einer völlig unter Schnee begrabenen Mülltonne, hinter der sie sich duckten.
    Robert ächzte. Weiter hinten, aus einer von einer Laterne beleuchteten Gasse, schoben sich vier lang gezogene Schatten mit breiten Schultern, struppigem Äußeren und langen Klauenhänden in ihr Blickfeld. Die diabolischen Silhouetten geisterten unruhig über die Hauswände, und sie konnten anhand des Schattenspiels sehen, wie eine von ihnen zu ihrem hörnerbewehrten Kopf griff und ihn sich abriss. Unvermittelt traten die

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