Weisser Schrecken
irgendwann im Mittelalter abgebrannt.«
»Mann, warum erzählst du denn erst jetzt davon?«
Robert bedachte ihn mit einem verärgerten Blick. »Was kann ich dafür, wenn du nie aufpasst? Erinnerst du dich nicht mehr an unseren Schulbesuch vor zwei Jahren unten im Heimatkundemuseum? Zusammen mit Köhler?« Andreas starrte Robert irritiert an. Robert verzog genervt die Mundwinkel. »Woher solltest du auch. Du hattest damals ja die Schule geschwänzt.«
»Und?«
»Was, und?« Robert zuckte mit den Achseln. »Mehr weiß ich nicht. Frag Niklas, der hat vielleicht besser aufgepasst. Ich war damals bloß froh, dass Mathe ausfiel. Konnte doch keiner ahnen, dass das noch mal wichtig werden würde.«
Andreas ärgerte sich über sich selbst. »Na gut, dann sehen wir uns diese Ruine mal an und schauen nach, was Konrad und seine Freunde dort getrieben haben. Aber sei leise, irgendwie traue ich dem Frieden hier nicht so recht.«
Gemeinsam stapften sie durch den Schnee, vorbei an geborstenem Mauerwerk und kahlem Gestrüpp, das aus dem weißen Untergrund ragte. Noch immer waren die Spuren von Konrad und seiner Bande zu erkennen. Sie führte um eine Wand aus verwitterten Steinblöcken herum, hinein in eine Art Klostergarten. Nur, dass sich dort heutzutage das zugeschneite Erdreich häufte, aus dem zwei Bäume wuchsen, die ihre Äste gespenstisch in den Nachthimmel reckten. Andreas überblickte die Mauerreste und Steinquader, und seine Phantasie gaukelte ihm die einstigen Silhouetten alter Klausurgebäude vor. Bei der rußgeschwärzten Wand mit dem Fenster mochte es sich um die Überreste eines alten Chorbogens handeln. Viel interessanter jedoch war der mit verkohltem Astwerk und weißer Asche angehäufte Steinring in seinem Schatten. Der Schnee außerhalb der Steine war geschmolzen und völlig zerwühlt. Andreas bückte sich. Die Asche war noch warm. »Weißt du noch, wie wir uns immer gefragt haben, ob Konrad und die anderen vielleicht ebenfalls einen geheimen Treffpunkt haben? Ich glaube, die Frage ist damit beantwortet. Zumindest ahne ich jetzt, woher diese Steine aus dem Sack stammen, den wir Sonntag im Vereinsheim entdeckt haben.«
»Sieh dir das hier mal an«, wisperte Robert und deutete auf die hoch aufragende Klostermauer neben der Feuerstelle. Bis unter das alte Spitzbogenfenster war sie mit seltsamen Symbolen aus Kreide bedeckt. Darunter waren Spiralen, Rhomben, Winkel und seltsame Schlüsselmuster. Auffallend oft wiederholte sich die Abbildung einer stilisierten Schlange.
»Sind das Runen?«, fragte Andreas leise.
»Keine Ahnung.« Robert zuckte mit den Schultern. »Vielleicht.«
»Was haben diese Volltrottel hier oben nur getrieben?«, fragte Andreas halblaut. »Ich will nicht hoffen, dass es mit diesem unheimlichen Mitternachtsorkan in Verbindung steht. Denn wenn doch …« Er atmete tief ein. »Dann haben die sich offenbar mit Mächten eingelassen, deren Existenz ich vor wenigen Stunden noch schlichtweg geleugnet hätte.«
Robert wandte sich ihm ernst zu. »Andy, ich hoffe, dir ist klar, was du da sagst. Ich gebe ja zu, dass ich für die Ereignisse vor drei Stunden auch keine Erklärung habe, aber du sprichst von Konrad! Der Kerl ist doch nicht mal in der Lage, einen Fahrradreifen alleine aufzupumpen.«
»Unterschätze ihn nicht.« Andreas spuckte verächtlich in den Schnee. »Außerdem: Wenn er und die anderen da tatsächlich mit drinhängen, dann reicht es vielleicht aus, ihm ein paar aufs Maul zu hauen, damit dieser verdammte Spuk endet.«
Ein zweifelnder Ausdruck stahl sich in Roberts Blick. »Ich weiß nicht. Irgendwas stimmt da nicht. Und zwar ganz und gar nicht.«
Andreas suchte die Feuerstelle ab, und seine Augen verengten sich. In der Asche lag ein verbrannter Tierkörper. Ein Hund oder eine Katze? Rasch sammelte er einen Zweig vom Boden auf und hob mit seiner Hilfe die verkohlten Überreste an. Die Pfoten waren zusammengebunden, und Andreas hatte den Eindruck, als sei der Hals des Tieres mit einem scharfen Gegenstand durchtrennt worden. Seine Stiefel stießen plötzlich an etwas Hartes, das halb unter Schnee begraben lag. Er schimmerte metallen. Andreas ließ den Stock fallen, bückte sich und präsentierte ein langes Messer. »Ich glaub’s einfach nicht.« Er schüttelte angewidert den Kopf. »Wenn ich mich nicht irre, ist das hier ein Schlachtermesser. Konrad muss es aus dem Betrieb seines Vaters entwendet haben.« Mitleidig sah er das unbekannte Tier an. »Was für ein Arschloch! Diese Typen
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