Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Weisser Schrecken

Weisser Schrecken

Titel: Weisser Schrecken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Finn
Vom Netzwerk:
an, »beruft sich dabei auf Jacob Grimm. Der ist ja nicht bloß Märchensammler gewesen, sondern vor allem Sprachwissenschaftler. Und er war angeblich davon überzeugt, dass Ruprecht auf das althochdeutsche hruodperaht, also ›Ruhmglänzender‹, und damit auf Wotan verweist. Ihr erinnert euch? Wotan ist der himmlische Gatte dieser Frigg – und damit auch Perchtas. Und von dem wiederum leitet sich unser Begriff ›wütend‹ ab. Grimm hat ihn als Knecht der Göttin Holle eingestuft.«
    »Dann steckt Wotan hinter diesem Knecht Ruprecht?«, fragte Robert zunehmend verwirrt.
    »Jein.« Niklas zögerte. »Ich habe euch doch von dem seltsamen Vortrag erzählt, den mir mein Vater gehalten hat? Er deutete an, dass dieser Ruprecht angeblich der Anführer der Wilden Jagd sei. Was ja auch ganz gut zu diesem Wotan passen würde. Doch in dem Buch hier finden sich noch andere Herleitungen und Legenden. Ihnen zufolge ist Perchta selbst die Führerin der Wilden Jagd. Worin sich alle aber eins sind, ist, dass die Wilde Jagd aus finsteren Geschöpfen und den Seelen der Toten besteht. Gerade zu den Raunächten scheinen für unsere Vorfahren die Grenzen zwischen Diesseits und Jenseits sehr durchlässig gewesen zu sein. Wir sollten uns daher fragen, ob das alles nicht einfach ein Hinweis darauf ist, dass stets zwei Aspekte ein und derselben Entität gemeint sind.« Niklas wurde nun doch unsicher. »Da gibt es übrigens noch etwas. Der Autor des Buches hier hält den Knecht Ruprecht gar, na ja, für eine Art Kinderfresser …«
    »Kacke!«, fluchte Robert. »Davon war auch im Aufsatz meines Bruders die Rede. Also, ich meine Stefan. Ihr wisst schon.«
    »Hier drin«, Niklas tippte auf die Buchseiten, »sind auch noch andere Sagen aufgelistet, in denen diese Perchta stets mit Kindern oder ihren Seelen umherzieht.«
    Robert nahm Niklas den Wälzer kurzerhand aus der Hand und musste sich anstrengen, um die alte Schrift auf den Seiten entziffern zu können. Wie es ihr dicker Freund geschafft hatte, sich durch all die Kapitel zu kämpfen, ohne dabei blind zu werden, war ihm ein Rätsel.
    »Perchta, Frigg, Holda, Holle«, murmelte er kopfschüttelnd, während er die gelbstichigen Seiten vor und zurückblätterte, »offenbar standen all diese Namen für eine Macht, die mit Eis, Kälte, Tod und Raserei in Verbindung gebracht wurde, aber auch mit Fruchtbarkeit, Geburt und – mein Gott! – mit Seelenwanderung!«
    »Wie bitte, Seelenwanderung?« Andy, der schon eine Weile lang grübelnd den Tisch anstarrte, schreckte hoch. »Ja, steht hier jedenfalls«, rief Robert heiser und legte einen Finger auf die betreffende Textstelle. »Diese Perchta soll so etwas wie einen Kessel der Wiedergeburt besessen haben.«
    Eine Weile lang lastete eine unbehagliche Stille auf dem Zimmer. Andy beugte sich vor und raufte sich verzweifelt die Haare. »Und was schließen wir jetzt aus alledem?«
    »Na ja«, Niklas räusperte sich. »Vielleicht gehört es zum Wesen dieser Perchta, in so gegensätzlichen Gestalten zu erscheinen? Hell und dunkel, schön und hässlich, gut und böse. Schönperchten und Schiechperchten.«
    »Gott, das meine ich nicht«, schimpfte Andy. »Ich spreche davon, was wir jetzt tun sollen? Wiedergeburt hin oder her. Kelten hin oder her. Ich glaube verdammt noch mal nicht an Götter. Trotzdem könnte der Hinweis mit diesem Kessel der Wiedergeburt auch unsere Lage erklären. Verflucht!« Andy stand auf und begab sich zum Fenster. Er sprach nun etwas leiser, fast wie zu sich selbst. »Auf jeden Fall muss man das alles wohl so verstehen, dass die Gefahr, mit der wir es hier in Perchtal zu tun haben, verdammt real ist. Und wohl auch, dass wir mit unserer Vermutung, was uns selbst betrifft, richtig liegen.«
    Auch Robert senkte die Stimme. »Sagt mal, all diese zusammengetragenen Knochen da unten in den Katakomben. Haltet ihr es für denkbar, dass die teilweise noch aus vorchristlicher Zeit stammen?«
    Andy drehte sich zu ihm um. »Hatten wir das nicht letzte Nacht schon vermutet?«
    Doch Robert beäugte Niklas. Der nickte zögernd. »Es wäre schon möglich, dass die von den Mönchen eingesammelt und dort unten neu zur Ruhe gebettet wurden.«
    »Wenn dieser Knecht Ruprecht tatsächlich so etwas wie ein Kinderfresser sein soll«, hub Robert mit rauer Stimme an, »was ist dann davon zu halten, dass die vielen Kinder da unten tatsächlich von diesem … Ding … gefressen wurden? Andy, erinnerst du dich noch an diese vielen Bissspuren, die wir an den

Weitere Kostenlose Bücher