Weisser Schrecken
die Andy entdeckt hat? Was soll das denn sonst sein? Insbesondere, da solche Statuen offenbar ziemlich ungewöhnlich für die Kelten sind. Ohne Zweifel sind das diese drei Bethen. Die beiden kleineren Statuen kann man angesichts der Ähren- und Mondsymbole getrost den Göttinnen Ambeth und Wilbeth zuordnen. Viel interessanter ist aber die größere Statue, von der Andy berichtet hat. Ich vermute wegen der Spindel, die sie trägt, dass sie die Göttin Borbeth darstellt. Offenbar genoss sie bei unseren Vorfahren die größte kultische Verehrung. Angeblich wird sie manchmal auch mit Holunderzweigen in den Händen dargestellt.«
»Moment … Holunder?« Andy runzelte die Stirn.
»Ja, wieso?«
»Weil da gestern auf dieser Lichtung ein eigentümlicher Holundergeruch in der Luft lag. Jetzt im Winter ist das doch ziemlich seltsam, oder?«
»Ja, allerdings.« Niklas rückte sich nachdenklich die Brille zurecht. Dann hob er das Buch an und las eine Textstelle quer. »Holunder scheint früher wohl so etwas wie eine heilige Pflanze gewesen zu sein. Und in der Volksheilkunde sind Blätter, Rinden, Blüten und Früchte dieser Pflanze bis heute sehr beliebt. Man nimmt an, dass an den Orten, an denen Holunder wuchs, Feste für Borbeth ausgerichtet wurden.«
»Du hast noch nicht erklärt, was diese Borbeth eigentlich mit Perchta zu schaffen hat«, hakte Andy nach.
»Bei ihr handelt es sich um ein und dieselbe Göttin«, erklärte Niklas. Er nahm das Buch wieder zur Hand und blätterte die Seiten um. »Borbeth enthält in seiner ersten Worthälfte den keltischen Stamm borm , von dem sich der deutsche Begriff warm ableitet. Zur gleichen Wortgruppe gehört das altenglische beorht ebenso wie das althochdeutsche perahta› die beide die Bedeutung ›hell‹, ›leuchtend‹ und ›glänzend‹ haben. Perchta heißt also ›die leuchtende, glänzende Göttin‹. Eine Bedeutung, die übrigens auf alle Namen zutreffen sollen, die auf -bert oder -brecht enden.«
Robert schwirrte langsam der Kopf. »Plötzlich soll diese Perchta eine Sonnengöttin sein? In dem anderen Buch, das wir im Keller von Andy gefunden haben, stand doch, dass sie eine Wintergöttin ist. Da hieß es, sie sei gleichbedeutend mit dieser germanischen Göttin Frigg, die Gemahlin Wotans.«
»Bei den Kelten schloss das eine das andere nicht aus«, belehrte ihn Niklas. »Es ist ihr lichter Aspekt. In Perchta schlummert aber auch etwas Dunkles, Böses, so wie bei all diesen alten Gottheiten. Deswegen wurden sie von den Kelten auch gern mit zwei Gesichtern dargestellt.«
»Scheiße, ich wusste, dass das dicke Ende noch kommen würde«, unterbrach ihn Andy. »Ganz so wie bei diesen Statuen im Wald.«
»Sag ich doch.« Niklas zuckte mit den Schultern und fuhr fort. »Ein hübsches Beispiel für diese Doppelbedeutung ist, dass die Germanen diese Frigg auch unter dem Namen Hulda oder Holda kannten, die ebenfalls identisch mit Perchta ist. Und Holda wiederum wird mit der Toten- und Unterweltsgöttin Hei gleichgesetzt, von der sich im Christentum der Name Hölle ableitet – eine Schmähung, die sicher nicht ohne Grund geschah. Als Totengöttin war diese Hei, Hulda oder Holda sicher gefürchtet. Aber sie war als Erd- und Unterweltsgöttin auch das Urbild des Fruchtbaren, Gerechten und Mütterlichen. In der Vorstellung unserer Altvorderen lebte sie also sowohl in der Unterwelt als auch im Himmel. Und dort war sie für das Wetter verantwortlich. Perchta ist damit über Umwege unsere aus den Grimmschen Märchen nur zu gut bekannte …«
»… Frau Holle!«, beendete Robert den Satz. »Das wissen wir bereits.«
»Na, du Schlauberger, dann weißt du vermutlich auch, dass sich der Name Hollands vermutlich von dieser Göttin ableitet? Oder dass unser Wintersternbild Orion in Schweden einst Friggerock genannt wurde? Die drei Sterne des Oriongürtels wurden dort als Spinnrocken der Göttin Frigg angesehen. Eine Spindel befand sich doch auch auf dieser großen Statue, richtig?« Niklas sah Andy überheblich an. Der nickte. »Diese Perchta war jedenfalls eine sehr zwiespältige Göttin. Übrigens: Holunder war in früheren Zeiten offenbar auch unter dem Namen Holder oder Holderbaum bekannt. Zu Holda ist es da nicht mehr weit. Und es geht lustig weiter, denn das Beste habe ich sogar noch ausgelassen, nämlich die Bedeutung von Knecht Ruprecht.« Niklas legte eine bedeutungsschwere Pause ein und ließ seine Worte nachwirken. »Der Autor dieses Buches hier«, er hob den Brauchtumsband
Weitere Kostenlose Bücher