Weisser Schrecken
Knochen gefunden haben?«
»Oh Gott!« Andy sah mit bleichem Gesicht auf. »Dieses Etwas stellt vielleicht nicht nur für uns eine Gefahr dar!« Robert und Niklas sahen ihn fragend an. Andy sprang auf, schnappte sich einen Taschenrechner und tippte einige Zahlen ein. »Wir wissen doch vom alten Hoeflinger, dass hier alle sechzehn Jahre Kinder verschwinden, richtig? Wann haben diese Kelten noch mal gelebt?«
»Weiß nicht«, stotterte Niklas. »Auf jeden Fall schon einige hundert Jahre vor Christus.«
»Gut, sagen wir mal von heute an gerechnet dreitausend Jahre, okay?« Er gab einige Zahlen in den Rechner ein. »Dreitausend durch sechzehn macht … circa hundertsiebenundachtzig!«
Himmel, was machte Andy da? »Was soll das?«, fragte Robert ihn.
»Ganz einfach, ich versuche zu begreifen, mit was für einer Gefahr wir es hier eigentlich zu tun haben. Wir gehen davon aus, dass hier etwas … existiert …, das in regelmäßigen Abständen Kinder frisst, richtig?« Robert und Niklas sahen sich beklommen an und nickten. »Gut, und wir gehen davon aus, dass dieses Etwas so alt ist, dass sich bereits die Kelten davor fürchteten? Völlig egal, ob sie es nun dieser Perchta oder Ruprecht in die Schuhe geschoben haben.«
»Wenn das nicht eh zwei Aspekte ein und derselben Gestalt sind«, wandte Niklas ein.
»Egal«, Andy winkte unwirsch ab. »Wenn dieser Schrecken aber wirklich schon so alt ist, dann lässt sich daraus doch folgern, dass sich der Sechzehn-Jahres-Zyklus, dem der alte Hoeflinger auf die Spur gekommen ist, bereits seit grauer Vorzeit wiederholt. Nur passt das Ergebnis nicht zu den vielen Knochen in den Katakomben.« Andy präsentierte seinen Freunden noch einmal das Ergebnis auf dem Display des Taschenrechners. »Das da unten waren weit mehr Knochen als bloß von hundertsiebenundachtzig Kindern! Robert kann das bestätigen.«
Robert versuchte die Anzahl der Toten in dem Gang im Geiste abzuschätzen und multiplizierte die Zahl mit der Anzahl der weiteren Gänge. »Du hast recht«, ächzte er. »Da unten befinden sich Knochen von weit über tausend Kindern. Mindestens. Und was heißt das jetzt deiner Meinung nach?«
»Das heißt, dass dieses Ding entweder noch viel länger sein Unwesen treibt. Oder ganz schlicht, dass es sich manchmal eben nicht nur mit einem Opfer zufrieden gibt.«
»Du meinst so wie 1978 mit … uns?« Niklas sah ihn mit blassem Gesicht an.
»Vielleicht.« Andy mahlte mit den Zähnen. »Obwohl ich ehrlich gesagt das Gefühl habe, dass damals etwas anderes passiert ist. Ich weiß bloß noch nicht, was. Ich dachte jetzt eher an Geschehnisse wie im Jahr 1850. Der alte Hoeflinger hat Elke und mir doch erzählt, dass damals eine Choleraepidemie in Perchtal ausgebrochen sei, der alle Kinder hier im Ort zum Opfer gefallen sind. Alle, Leute! Versteht ihr? Und vor allem: warum nur Kinder? Was, wenn das gar keine Cholera war? Was, wenn sich in Wahrheit dieses … Etwas … all die Kinder geholt hat?«
»Aber wieso ist dann in den alten Unterlagen von Cholera die Rede gewesen?«, fragte Niklas.
»Ganz einfach, weil sie es vertuscht haben«, zischte Andy zornig. »Der alte Hoeflinger hat recht. Hier bei uns in Perchtal muss es Leute geben, die von diesem Schrecken Kenntnis haben. Vermutlich wurde das Wissen darum in all den Jahrhunderten von einer Generation zu anderen weitergegeben.«
»Und diese Kinderbischöfe, wie passen die jetzt da rein?«, fragte Robert leise.
»Weiß ich noch nicht«, antwortete Andy grübelnd. »Jene Kinder, die da unten in der Katakombe in Bischofsgewändern bestattet waren, wiesen jedenfalls keine Fraßspuren auf. Trotzdem waren sie tot. Moment mal!« Er ruckte hoch. »Da ist doch noch diese lateinische Inschrift, die du abgeschrieben hast. Hast du sie noch?«
»Ja, klar.« Robert kramte hektisch in seiner Hosentasche und präsentierte die bekritzelte Gebrauchsanleitung. »Niklas, kannst du das für uns übersetzen? Das ist Latein.«
Niklas nahm die Abschrift an sich und überflog sie. »Andy, ich benötige dein Latein-Deutsch-Vokabelbuch. Außerdem Stift und Papier.«
Andy stand auf, ging rüber in sein Zimmer und kam mit dem Gewünschten wieder. Sofort nahm Niklas die Übersetzung in Angriff. Robert und Andy sahen ihm wie gebannt dabei zu. Zehn Minuten später war er fertig. »Also, wenn ich nichts falsch gemacht habe, lautet die Inschrift übersetzt wie folgt.« Niklas las laut vor:
»Diese Worte sprich mein Kind:
Heiliger Nikolaus, der du entstammst dem
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