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Weisser Schrecken

Weisser Schrecken

Titel: Weisser Schrecken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Finn
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hier? Aufgeregt sah sich Andreas in der Gasse um, dann endlich wagte er es, vor das Fenster des Wohnhauses zu schleichen und durch die Vorhänge zu blicken. Im Raum sah er Frau Bierbichler. Zusammengesunken und mit einem Kreuz in der Hand saß sie am Esstisch und weinte. Andreas empfand für sie kein Mitleid. Im Gegenteil. Er stampfte zur Wohnungstür und ließ die Klingel so lange schellen, bis sich eine Bewegung hinter der Tür abzeichnete.
    »Wer ist da?«, war die weinerliche Stimme von Elkes und Miriams Mutter zu hören.
    Andreas antwortete nicht, sondern klingelte weiter Sturm. Endlich öffnete sich die Tür einen Spalt breit. Frau Bierbichler hatte die Türkette vorgezogen und spähte ängstlich nach draußen. Ein erschrockener Ausdruck verdüsterte ihr Gesicht. Sofort versuchte sie die Tür wieder zuzuziehen, doch Andreas rammte seinen Fuß in den Spalt. »Machen Sie auf, verdammt!« Unglücklicherweise hinderte ihn die Sicherungskette daran, die Tür aufzubekommen. »Wer sind Sie? Verschwinden Sie! Gehen Sie weg! Wir haben nichts.« Frau Bierbichler stemmte sich panisch gegen die Tun Andreas reichte es. Er nahm das Gewehr abermals zur Hand und rammte den Kolben so lange zwischen Tür und Angel, bis es ihm gelang, die Sicherungskette aus der Verankerung zu reißen. Mit aller Kraft drückte er das Hindernis auf und Frau Bierbichler fiel hintenüber in den Hausflur. Dort blieb sie verängstigt wimmernd liegen. Andreas befreite sich von der Skimaske und ihm dämmerte langsam, wie sein Äußeres im Zusammenspiel mit der Schusswaffe gewirkt haben musste. Doch der ängstliche Ausdruck auf dem Gesicht von Elkes und Miriams Mutter verwandelte sich jetzt erst Recht in nackte Panik.
    »Mein Gott! Du?«
    Andreas nickte grimmig. Einen Moment lang überlegte er, mit der Flinte auf die Liegende anzulegen, als er sich der Schilderungen Elkes besann. Ihm fiel etwas Besseres ein, um die Frau zum Reden zu bringen. Etwas viel besseres. Er zog die Tür hinter sich ins Schloss und kniete sich vor Frau Bierbichler nieder.
    »Sie kennen mich, stimmt’s?«, sprach er mit ruhiger Stimme. Die Frau nickte ängstlich und rutschte bis zur hinteren Wand zurück. »Ich meine nicht aus diesem Leben, sondern von früher …?«
    Frau Bierbichler faltete ihre Hände zum Gebet. »Bitte … bitte, verschone mich. Der Herrgott selbst weiß, dass ich …«
    »Sie wagen es, denn Herrgott um Hilfe anzuflehen?«, fauchte Andreas. »Wissen Sie denn nicht, wer vor Ihnen steht?« Er versuchte sich an einem betont herrischen Blick. »Sie wissen es, und wir wissen es. Wir sind Engel … Von Gott ausgesandt, um euch Menschen zu prüfen. Doch was tut ihr Sterblichen?« Andreas hob mahnend einen Finger. »In eurem Unverstand vergreift ihr euch an seinen himmlischen Heerscharen und tragt so damit dazu bei, das Strafgericht Gottes auf die Erde herabzubeschwören! Und das, obwohl der Schöpfer euch in seiner Gnade auserwählt hat, uns einen sterblichen Leib zu schenken. Wollt ihr Sterblichen Gottes Plan vereiteln?«
    »Nein, natürlich nicht …« Frau Bierbichler stammelte nur noch und sah ihn mit weit aufgerissenen Augen an. Andreas bekam nun doch ein schlechtes Gewissen, dass er ihren Glauben so schamlos ausnutzte.
    »Pfarrer Strobel meinte, der Herr wolle uns prüfen. So wie er damals Abraham geprüft hat, als er ihm sagte, dass er seinen Sohn Isaak opfern soll.«
    »Aber er hinderte ihn rechtzeitig daran!«, unterbrach Andreas sie mit kalter Stimme. »Wollen Sie, dass Ihre Töchter zum zweiten Mal sterben – diesmal für immer?«
    »Nein«, greinte Frau Bierbichler los und reckte ihm ihre Hände flehend entgegen. »Natürlich nicht, o Engel der Gerechtigkeit!«
    »Dann sagen Sie mir, wo sie hingebracht wurden. Denn Gott hat mich beauftragt, Ihrem Mann ebenso in den Arm zu fallen, wie er es auch schon bei Abraham tat.«
    Im Gesicht von Elkes und Miriams Mutter arbeitete es. Verzweifelt biss sie sich auf die Lippe. »Ich … ich kenne nur einen Namen. Ich war noch nie dort«, haspelte sie. »Josef … mein Mann … er sprach davon, dass sie die Mädchen zu einen Ort irgendwo im Wald führen würden. Ich kenne ihn nicht, aber er hat einen Namen: die ›drei Heiligen‹.«
    Elke hatte Angst. Sie lag geknebelt und gefesselt im Lieferwagen ihres Vaters und spürte jede Bodenwelle, über die das Fahrzeug hinwegrollte. Inzwischen war sie sicher, dass sie irgendwo im Forst unterwegs waren, da sich hin und wieder der würzige Duft von Tannennadeln unter den

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