Weisser Schrecken
LKWs und spähte um den Motorblock herum hinüber zur Wohnungstür. Seine Augen verengten sich wütend. Die Mistkerle hatten den Zugang zum Haus mit einer Kette gesichert, und ihn damit ausgesperrt. Aber seine Wohnung war nicht sein Ziel. Andreas lauschte noch ein paar Minuten lang auf verdächtige Geräusche, dann hastete er über die Schneefläche hinweg auf den benachbarten Fahrradkeller zu und schlüpfte die Kellertreppe hinunter. Hastig kramte er nach seinen Hausschlüsseln, sperrte die Tür auf und knipste seine Taschenlampe an. In ihrem trüben Schein rannte er an den Fahrrädern vorbei in den Nachbarraum mit den vielen Kartons. Dort schnappte er sich die eingewickelte Jagdflinte neben dem Wasserboiler, mit der sich seine Mutter damals erschossen hatte. Andreas wickelte das Gewehr aus und überprüfte den Patronenschacht. Er war leer. Verdammt. Er hängte sich die Waffe am Riemen über die Schulter und stürmte zum vorderen Kellerraum, wo er hektisch die Regale absuchte. Nirgendwo fand er Patronen, dafür fand er eine alte Gartensichel, die er sich ebenso einsteckte, wie die Batterien aus einem Kasten weiter unten. Einen Moment lang überlegte er, ob er die Skier wieder mitnehmen sollte, doch er verzichtete auf sie und streifte sich stattdessen bloß seine Skimaske über. Wie gern hätte er oben aus dem Haus trockene Kleidung geholt. Es musste auch so gehen. Anschließend stiefelte er die Kellertreppe wieder hinauf, um ebenso vorsichtig wie vorhin, das Sägewerksgelände zu verlassen. Erst als er sich sicher vor vermeintlichen Verfolgern wähnte, frischte er seine Taschenlampe mit den neuen Batterien auf. Er hatte die Ausläufer der Ortschaft kaum erreicht, als ihm klar wurde, dass er nicht wusste, wohin die Erwachsenen seine Freunde überhaupt gebracht hatten.
Verdammt. Er musste sich konzentrieren. Ob er noch einmal zurück zur Kirche gehen sollte? Was blieb ihm anderes übrig? Andreas beschleunigte seinen Schritt. Die Straßen der Ortschaft waren noch immer fast menschenleer. Das zunehmend dichter werdende Schneetreiben hatte auch die letzten Bewohner Perchtals zurück in ihre Häuser getrieben. Als er die Kirche erreichte, konnte er weder hinter den bunten Glasfenstern des Sakralbaus noch im Pfarrhaus selbst Licht erkennen. Und doch traute er sich nicht, dem Gelände nochmals einen Besuch abzustatten. Da fiel ihm das Auto des Pfarrers am Straßenrand vor der Friedhofsumzäunung auf, von dem Niklas behauptet hatte, dass Strobel dort gestern Nacht noch herumgestanden hatte. Das Fahrzeug war mit Schneeketten ausgerüstet. Dem Marktplatz einen scheelen Blick zuwerfend, näherte sich Andreas dem Wagen und spähte durch die Scheiben. Interessant, da auf dem Rücksitz lag ein Rucksack. Er rüttelte an den Türklinken, doch leider waren die Türen des Autos abgeschlossen. Kurzerhand nahm er die Jagdflinte zur Hand und schlug die Heckscheibe mit dem Gewehrkolben ein. Scherben prasselten auf die Ledersitze und er langte in den Innenraum, um den Rucksack ins Freie zu ziehen. Sofort machte er, dass er wegkam. Er hielt erst inne, als er einen Hauseingang erreichte, in dem er Schutz vor dem vielen Schnee fand. Dort inspizierte er seinen Fund genauer. Der Rucksack enthielt eine weitere Taschenlampe, ein aufgewickeltes Nylonseil, so wie es Bergsteiger benutzten, einen Eispickel, mehrere teure Magnesiumfackeln, wie sie auch von der Feuerwehr oder vom THW als Notbeleuchtung verwendet wurden, eine Schachtel mit Kreide, einen Kompass sowie Spikes, die man sich unter die Stiefel schnallen konnte. Am Interessantesten aber war eine vergilbte Landkarte der Region, auf der neben Perchtal selbst auch diverse Höhenzüge und andere Landmarken verzeichnet waren. Eine einfache Bergwanderkarte war das nicht, dafür war sie zu alt. Andreas tippte eher auf eine alte Karte für militärische Zwecke, so wie sie die Gebirgsjäger verwendeten. Nur brachte ihn auch dieser Fund nicht weiter. Er steckte die Karte wieder in den Rucksack zurück und schnallte ihn sich um. Da er nicht wusste, was er sonst tun sollte, schlug er den Weg zu Robert ein, sorgsam darauf bedacht, von niemandem gesehen zu werden. Doch dessen Wohnhaus war ebenso verlassen wie Bäckerei und Elternhaus von Niklas Eltern. Die Vögel waren allesamt ausgeflogen. Ohne viel Hoffnung stattete er nun auch der Brennergasse einen Besuch ab, als er zu seiner Überraschung entdeckte, dass hinter den Vorhängen des Esszimmers Licht brannte. Meine Güte, waren Elke und Miriam doch noch
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