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Weisser Schrecken

Weisser Schrecken

Titel: Weisser Schrecken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Finn
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allgegenwärtigen Schnapsgeruch im Laderaum mischte. Wann immer sich die Schneeketten des Lieferwagens im Untergrund festbissen, stieß sie gegen die Körper von Miriam, Robert und Niklas. Die Erwachsenen hatten sie ebenso eingefangen wie sie selbst. Robert stöhnte hin und wieder, ein Geräusch, das auch der Motorlärm nicht zu übertönen vermochte. Sehen konnte sie ihre Freunde nicht, dafür war es im Laderaum zu dunkel. Doch sie hatte sehr wohl registriert, dass es den Wahnsinnigen nicht gelungen war, Andy einzufangen. Auf ihn richtete sich ihre ganze Hoffnung. Doch wie sollte ihnen ihr Freund helfen? Die Erwachsenen hatten nicht einmal ihnen verraten, wohin sie fuhren. Und niemand von ihnen hatte sie darüber aufgeklärt, was sie mit ihnen vorhatten. Elke zwang sich nicht in Tränen auszubrechen, dabei befürchtete sie das Schlimmste. Das Allerschlimmste. Ob die anderen mehr wussten? Leider verhinderten die Knebel, dass sie miteinander sprechen konnten. Sie war nicht einmal dazu gekommen, mit Miriam über diese hypnotische Rückführung zu reden. Dabei spürte Elke, dass ihre Schwester Wichtiges erfahren hatte. Gott, welche Eltern waren nur dazu imstande, ihren eigenen Kindern etwas Derartiges anzutun?
    Endlich hielt ihr Vater den Lieferwagen an und sie konnte den Motorlärm zweier weiterer Fahrzeuge hören, die nun ebenfalls verstummten. Draußen ertönten Stimmen, schließlich wurde die Heckklappe aufgerissen und Taschenlampenlicht blendete Elke und ihre Freunde. »Los, raus mit euch!« Das war die Stimme des Bürgermeisters. Dass selbst Schober zu diesen Verrückten gehörte, hatte Elke noch fassungsloser gemacht, als die Tatsache, dass ihre eigenen Eltern in die Entführung verstrickt waren. Von Letzteren wusste sie bereits, dass sie verrückt waren. Schober aber war in Perchtal eine echte Autorität. Elke begriff, dass sie insgeheim die ganze Zeit über gehofft hatte, ihn oder einen anderen Erwachsenen doch noch um Hilfe bitten zu können. Auch diese Hoffnung war nun begraben. Sie standen allein.
    Hände ergriffen sie, Miriam, Robert und Niklas und zerrten sie ins Freie. Elke blinzelte und die auf dem Rücken zusammengebundenen Hände schmerzten. Hinter dem Fahrzeug befanden sich zwei weitere Autos, in deren abgeblendeten Scheinwerferlicht sie erkennen konnte, dass sie auf einem Waldweg standen. Rings um sie herum erhoben sich die schneegetränkten Wipfel hoher Bäume, zwischen denen wirbelnde Schneeflocken zu Boden rieselten. Elke hatte nicht den leisesten Hauch einer Ahnung, wo sie waren.
    »Können wir sie nicht wenigstens von den Knebeln befreien?«, hörte sie die Bassstimme ihres Vaters. »Gewähren wir ihnen doch wenigstens diese Gnade.« Er trat ins Licht und sah sie und Miriam ungewohnt mitleidig an.
    »Meinetwegen.« Niklas’ Vater trat vor seinen Sohn und riss Niklas mit einem Ruck das Klebeband vom Mund. Der füllte seine Lungen sofort mit Luft. Eichelhuber rückte ihm ausdruckslos die schief sitzende Brille zurecht. »Ich denke, du hast ein Recht darauf zu sehen, was mit dir geschieht.«
    Auch Elke, Miriam und Robert wurden die Klebestreifen von den Lippen gerissen. Ebenso wie sie selbst stöhnte auch Miriam erleichtert auf, nur Robert sank ächzend in den Schnee. »Bitte, lockern Sie meine Handfesseln«, keuchte er. »Die Schusswunde an meinem Arm … Ich halte die Schmerzen kaum noch aus.«
    »Schusswunde?« Frau Hoeflinger trat vor ihn und beäugte ihn irritiert. Dann wandte sie sich den anderen Erwachsenen zu. »Sagt mal, war einer von euch so bescheuert, und hat auf den Jungen geschossen?« Das Scheinwerferlicht blendete Elke zwar immer noch, doch sie konnte sehen, dass sie es insgesamt mit fünf Entführern zu tun hatten. Abgesehen von ihrem Vater waren das der alte Eichelhuber, Bürgermeister Schober, Joachim Krapf, der Zugführer der freiwilligen Feuerwehr und die Tochter des verrückten Hoeflingers. So verrückt war der ehemalige Polizist also doch nicht gewesen.
    »Sag schon, hast du geschossen?«, blaffte die Hoeflinger den Bürgermeister an.
    »Nein, natürlich nicht«, knirschte der Angesprochene. »Du warst doch dabei, als wir ihn eingefangen haben. Zeig mal.« Schober beugte sich zu Robert herab und zog dessen Jacke auf, um nach dem Verband zu fühlen. Robert stöhnte, und Elke sah erstmals, dass seine Lippe blutig geschlagen war. Die Männer mussten ihn verprügelt haben. Am liebsten hätte sich Elke auf sie gestürzt. »Tatsächlich. Habe ich vorhin gar nicht bemerkt.«

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