Weisser Schrecken
konnte. »Sei ja nicht geizig.«
»Ganz bestimmt nicht.« Robert hatte die Tüte gerade aufgerissen, als er innehielt. »Was ist das denn? Das Kostüm ist feucht.«
»Wie bitte?« Andreas überprüfte die Entdeckung. Tatsächlich. Und da war noch etwas anderes. Er schnupperte. Das Teufelskostüm strömte einen beißenden Geruch nach Lagerfeuer aus. Das also war der Grund für den seltsamen Geruch im Raum. »Sieht ganz so aus, als wäre Konrad darin erst vor Kurzem unterwegs gewesen.«
»Und nicht nur der.« Robert inspizierte bereits die Kostüme von Wastl und Lugge. »Ebenfalls feucht. Die haben in den Kostümen eine heimliche Spritztour in die Umgebung gemacht. Fragt sich, wohin?«
»Ich weiß schon, wohin«, zürnte Andreas. »Zum Sägewerk.«
»In den Kostümen?«
Andreas zuckte mit den Schultern und überprüfte schnell, wie es mit seinem Teufelskostüm und mit dem von Robert stand. Roberts Teufelskostüm war ebenfalls feucht. »Sieh einmal an, die waren sogar zu viert. Ich kann mir schon denken, wer noch mit im Bunde war.«
»Liesel Kahlinger, die Vogelscheuche«, brummte Robert schlecht gelaunt. Andreas stimmte seinem Freund zu. Den Kahlingers gehörte der Krämerladen im Ort, und ihre Tochter Liesel war Konrad ebenso hündisch ergeben wie Wastl und Lugge. Jeder, der Augen im Kopf hatte, konnte sehen, dass sie heimlich in Konrad verknallt war. Dabei war Liesel hässlich wie die Nacht. Nicht nur, dass sie eine grässliche Zahnspange trug, sie war auch fast so groß wie er selbst, dabei aber so dürr, dass man sie nachts sicher mit einem Besen verwechselt hätte. Andreas konnte sich nicht vorstellen, dass Liesel je Chancen bei Konrad hatte. Aber so, wie er den Mistkerl einschätzte, fand der es sicher ganz nützlich, dass Liesel hin und wieder ein paar Süßigkeiten aus dem Laden ihrer Eltern abzwacken konnte. Andererseits passte Liesel ganz gut zu dem Trio. Auch sie war eine intrigante Schlange, vor der man sich besser in Acht nahm.
»Dass die blöde Kuh mein Kostüm getragen hat, macht die Sache echt nicht besser«, schimpfte Robert und verteilte das Juckpulver nun großzügig in Konrads Kostüm. »Aber was soll der Scheiß? Die glauben doch wohl nicht, dass sie uns Angst einjagen können, oder etwa doch?«
Andreas antwortete nicht, denn er sah, dass unter Roberts Kostüm eine Wasserlache glitzerte. Der Boden im Raum war überhaupt ungewöhnlich dreckig. Schuhabdrücke führten bis hinüber zu der Tür der Abstellkammer, in der sie die Bastelmaterialien lagerten. »Gib mal den Schlüssel.« Robert reichte ihm das Gewünschte und sah neugierig dabei zu, wie er die Tür aufsperrte. Rasch wanderte Andreas’ Blick über die Regale mit den Teppichschneidern, Schnitzmessern, Klebetuben, Farbtöpfen und Garnrollen. Schließlich zog er einen Haufen schwarzer Fellreste am Boden fort und entdeckte darunter einen ausgebeulten, olivgrünen Kleidersack, wie man ihn bei der Bundeswehr benutzte. Mann, war das Mistding schwer. Andy wuchtete den Sack auf den großen Bastelltisch im Zimmer nebenan und kippte ihn aus. Heraus rollten klobige Steinquader und Ziegel, die ohne Zweifel noch vor kurzem im Erdreich gelegen hatten.
»Was ist denn das?«, fragte ihn Robert leise.
»Keine Ahnung.« Die Quader sahen aus wie Stücke alten Mauerwerks. Auf einem der Ziegel war ein altertümliches christliches Kreuz zu erkennen, ein anderes, längeres Stück war Teil eines Freskos. Andreas hob das schwere Stück Gestein an und betrachtete es. Man konnte darauf noch die Füße unbekannter Gestalten erkennen, und darunter befand sich eine lateinische Inschrift: Media in vita in motte sumus. Robert, der jetzt hinter Andy trat, übersetzte halblaut: »Mitten im Leben sind wir vom Tod umfangen.«
Andy stellte den schweren Fund wieder ab und sah Robert erstaunt an. »Wow. Hast du bei Niklas heimlich Nachhilfe in Latein genommen?«
»Nee, aber das stammt aus ’nem Kirchenlied. Mittelalter oder so. Wenn du mal ein paar vernünftige Gruppen hören würdest, dann würdest du das ebenfalls kennen.«
»Und was macht das Zeug hier?«
Robert zuckte mit den Achseln. »Vielleicht haben die sich heute Nacht auf dem Friedhof rumgetrieben? ’ne Mutprobe, oder so.«
»Wieso auf dem Friedhof?«
»Na wegen des Kreuzes da auf dem Stein.«
Andreas schüttelte verwirrt den Kopf und packte die schweren Fundstücke wieder ein. »Trotzdem, komisch ist das Ganze schon. Ich schlag vor, dass wir …« Außerhalb des Gebäudes war plötzlich ein leiser
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