Weisser Schrecken
Die wirklich wertvollen Sachen liegen bei ihm. Vor allem alte Klosterschriften und so. Bei den Antiquitätenhändlern angefangen von Berchtesgaden bis rauf nach Bad Reichenhall gelten wir inzwischen als Sonderlinge, mit denen sich ordentlich was verdienen lässt. Außerdem pflegen wir übers Internet zahlreiche Kontakte zu Altertumsforschern. Wir waren auch mehrfach in Österreich, Ungarn, Norditalien, Tschechien und einmal sogar in Kroatien, um uns die dortigen Krampus- und Perchtenläufe anzusehen und mit den jeweiligen Brauchtumsspezialisten zu sprechen.«
»Wie bitte? Sogar in Kroatien?«
»Ja, sogar dort. Wir haben natürlich unsere eigenen Schlüsse daraus gezogen. Ihr anderen habt ja leider alle Bande abgebrochen und euch verkrümelt. Doch im Gegensatz zu euch haben Niklas und ich nicht einfach den Kopf in den Sand gesteckt und so getan, als …« Robert hielt inne. »Sorry, ich wollte dir jetzt eigentlich keinen Vorwurf machen.«
»Schon gut.« Die beiden Männer schwiegen eine Weile.
»Und?«, nahm Andreas den Faden wieder auf. »Haben eure Nachforschungen irgendwas gebracht?«
»Der Glaube an Perchta war viel weiter verbreitet als du denkst. Über den ganzen Alpenraum hinweg und auch weit darüber hinaus. Nur ahnst du nicht, wie sehr die Überlieferungen im Laufe der Zeit verdreht wurden. Andererseits weißt du ja selbst, dass die Kirche während der Christianisierung daran nicht ganz unschuldig war.«
Andreas nickte. Zumindest das wusste er nur zu gut. »Nur begreife ich bis heute nicht, warum die Kirche nie gegen diese heidnischen Bräuche vorgegangen ist? Diejenigen, die all das unter dem Deckmantel des Glaubens toleriert und weitergeführt haben, können doch unmöglich so mächtig gewesen sein?«
»Waren sie auch nicht.« Robert schürzte die Lippen. »Es gab immer wieder Versuche, die Perchten- und Krampusläufe auszurotten.«
»Aha, als da wäre?« Andreas musterte Robert eindringlich. Der zuckte hilflos mit den Achseln und nahm ihm den alten Bildband ab.
»Na ja, zum Beispiel im österreichischen Gastein. Da haben die Salzburger Bischöfe mehrfach Verbote gegen die Reste des alten Volksglaubens ausgesprochen. Und das, obwohl die Pfaffen sicher nicht im Mindesten geahnt haben, welcher Schrecken sich hinter dem Brauch verbirgt.«
»Wirklich? Ich meine, wir sind schließlich auch dahintergekommen.«
Robert runzelte kurz die Stirn. »Ist letzten Endes auch gleich.«. Er stellte den alten Folianten ins Regal zurück. »Zumindest waren die kirchlichen Nachstellungen überhaupt erst der Grund, Nikolaus und Engel in die einzelnen Umzüge zu integrieren. Vorher gab es diese Figuren überhaupt nicht. Die Bevölkerung wollte damit offenbar ein gewisses Wohlwollen der Kirche erreichen. Die Krampusläufe waren eben zu beliebt.«
»Ja, oder sie hatten etwas zu verbergen«, murmelte Andreas nachdenklich.
»Vielleicht. Hat dann aber doch nicht immer funktioniert«, korrigierte ihn Robert lahm. »Zumindest die Salzburger Landesgerichte erließen 1848 ein generelles Verbot des nächtlichen Perchtenlaufs, das in einigen Regionen sogar noch Ende des 19. Jahrhunderts Bestand hatte.«
»Robert, die Perchtenläufe interessieren mich nicht«, unterbrach Andreas die Ausführungen seines Freundes. Der zuckte zusammen wie ein geprügelter Hund. »Was mich interessiert, ist, ob es einen anderen Weg gibt, dieses Wesen zu bekämpfen, als damals?«
Robert sah ihn niedergeschlagen an und seufzte. »Ja, dachte ich mir schon, dass du darauf hinauswillst. Naja, Niklas bezweifelt es. Ich selbst habe mich allerdings vorbereitet. Komm mal mit.« Er führte ihn aus dem Raum und schloss das ehemalige Schlafzimmer seiner Mutter auf. Die Tür war mit einem Sicherheitsschloss versperrt, und als er sie öffnete und den Lichtschalter anknipste, riss Andreas verblüfft die Augen auf. Robert hatte das Zimmer zu einer Art Werkstatt umgebaut. Wand, Decke und Boden im hinteren Teil waren komplett mit Asbestplatten verkleidet, mitten im Raum erhob sich eine solide Werkbank mit Schraubklemmen, Bohrern und Sägen, an den Wänden hingen Feuerlöscher und Werkzeuge, und gegenüber dem geschlossenen Rollladenfenster stand ein halb offener Waffenschrank mit Jagd- und Schrotflinten.
Andreas wusste nicht, was er erwartet hatte, aber nicht so etwas. Zugleich fühlte er sich schrecklich unvorbereitet.
»Müssen wir heute wirklich noch einmal da runter?«, fragte er.
»Ja, verdammt, müssen wir!«, antwortete Robert zornig.
»Nur, dass wir
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