Weißer Teufel
roch den faulen Atem. Harness beugte sich über Persephone. Sein schlaffer Penis streifte die Bettdecke. Andrew wand sich, kämpfte gegen die Lähmung an oder versuchte es, trotzdem konnte er nichts tun, nur stumme Schreie ausstoßen. Er wusste, was Harness vorhatte. Harness legte die Hände an Persephones schlafendes Gesicht, teilte ihre Lippen mit einem knochigen Finger und hauchte seinen feuchten, gurgelnden Atem in ihren Mund. Dann hustete er. Der Husten schien in den Hüften zu entstehen und sich wellenartig nach oben zu bewegen und bebend im Kopf zu enden. Harness wandte sich ab und drückte die Hand auf den Mund, als hätte er Schmerzen. Dann kam die nächste Welle – Hüften, Bauch, Brust, Hals. Harness gab ein Geräusch von sich, das klang, als würde jemand ein nasses Handtuch zerreißen, und erbrach etwas Zähflüssiges in Persephones Mund und über ihr Gesicht. Im Kerzenschein sah Andrew die Farbe des Schleims – er war blutrot. Harness schloss die Augen, seine Miene war schmerzverzerrt. Gleich darauf schaute er Andrew an. Seine Lippen waren blutverschmiert Der Ausdruck in den tiefliegenden Augen wirkte verzweifelt und anklagend, als wäre das alles Andrews Werk; seine Untreue zog diese tragischen Konsequenzen nach sich, und Harness sah sich lediglich als ausführendes Organ. Ein Quietschen. Die Erscheinung verließ das Bett. Das Kerzenlicht wurde schwächer.
Andrew schwirrte der Kopf, und plötzlich war alles schwarz.
18
Stalker
Als Andrew wach wurde, war der Himmel tief verhangen und düster, so dass er nicht sagen konnte, wie spät es war. Persephone lag neben ihm und verströmte ihren eigenen Geruch nach Bodylotion, Haarshampoo und Parfüm. Sie war nackt. Er lächelte, drehte sich zu ihr und strich ihr eine Strähne aus dem Gesicht. Dabei fiel ihm auf, dass er etwas in der anderen Hand hielt, vielleicht schon stundenlang im Schlaf gehalten hatte. Er öffnete die Faust. Ein kleiner, fast durchsichtiger, zarter Gegenstand lag auf seiner Handfläche. Ein Fingernagel?
Er untersuchte das Ding genauer. Es schien ein … Blütenblatt zu sein. Ein kleines Blütenblatt in der Form eines Fingernagels, rund und weiß mit schwarzem Rand.
Er überlegte fieberhaft, wie das Blatt einer Blüte – im Herbst – in seine Hand gelangt sein könnte.
Dann kam die Erinnerung an die Vision der letzten Nacht zurück. Bei dem Gedanken daran erstarrte er. Die Vorgänge erschienen ihm fern, als gehörten sie weit in die Vergangenheit. Nur ein Traum? Alarmiert drehte er sich zu Persephone, das geheimnisvolle Blütenblatt war vergessen. Atmete sie noch? War sie tot? Panik brach aus. Er schlug die Decke zurück, so dass er Persephones Gesicht sehen konnte. Ihre Wangen waren sauber.
»Gott sei Dank«, flüsterte er.
»Ist das ein ländliches Ritual in Amerika«, ächzte sie. »Prüft ihr das Vieh, nachdem ihr Sex mit ihm hattet?«
Er brach in schallendes Gelächter aus. Es muss ein normalerTraum gewesen sein, keine Vision von dem echten Harness.
»Ich liebe dich«, sagte er.
Sie kuschelte sich an ihn.
»Es ist Brauch, dass man nach so einem Geständnis sagt: ›Ich liebe dich auch‹«, neckte er sie, obwohl ihn ihre Reaktion irritierte.
»Wie kann ich mein geheimnisvolles Flair bewahren, wenn ich so viel gebe?«
» Du hast mir viel gegeben?«
Er zog ihr die Decke weg, und sie kreischte. Sie rangen um die Decke, doch nach einer Weile lagen sie nebeneinander und schauten sich an, als würden sie sich zum ersten Mal sehen – nackt oder angezogen. Sogar Persephone ließ Zeit verstreichen, ohne zu reden.
Agatha erwartete sie am Trinity Gate. Eine reglose Gestalt mit roten Haaren und langem Mantel inmitten von hektischen Studenten, Fahrradfahrern, parkenden Autos und chinesischen Touristen. Nebel hatte sich über die Universität gesenkt. Agatha umarmte Persephone und küsste Andrew auf beide Wangen, ehe sie die beiden wegen ihrer Verspätung aufzog. Cambridge bekommt euch offenbar gut. Ist noch etwas von meinem Zimmer übrig? Die zwei grinsten verlegen und hielten sich an den Händen. Agatha verdrehte die Augen und führte sie durch die Security-Kabine. Sie trugen sich in die Besucherliste ein und betraten durch einen Torbogen das Gelände des Trinity College.
Der Nebel verlieh der Umgebung etwas Traumartiges, aber Andrew vermutete, dass man selbst bei strahlendem Sonnenschein das Gefühl hätte, in ein anderes Zeitalter geraten zu sein. Die bestens erhaltenen sandfarbenen Gebäudeaus dem siebzehnten
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