Weißer Teufel
sich und warfen ihre Kleider auf den Boden, Persephone drückte Andrew aufs Bett. Sie waren sehr rücksichtsvoll. Ist es so richtig. Soll ich noch ein Stück rücken? Persephone setzte sich auf ihn. Sie fingen langsam an. Andrew beobachtete ihr Gesicht. Sie hielt die Augen geschlossen und presste konzentriert die Lippen zusammen. Der Schein von der Straßenlaterne tauchte sie in fahles Licht – eine Winternymphe: schlank, hell, traurig. Ich liebe dich, sagte er. Sie hielt kurz inne, ansonsten reagierte sie nicht. Sie war auf etwas aus, was ihr sein Körper geben konnte, sie wollte ein Rätsel lösen, einen Preis erbeuten. Sie beugte sich zu ihm. Ihre Haare kitzelten sein Gesicht. Rutschte tiefer und drückte sich fester an ihn.Dann nahm sie seine Hände und legte sie auf ihre Brüste. Sie rieb sich an ihm. Ein Schaudern, ein langes Stöhnen. Sie warf sich nach vorn und vergrub das Gesicht an seinem Hals. Bist du okay? Sie kuschelte sich noch mehr an ihn. Ihre Schultern zitterten. Sie weinte. Tränen benetzten seinen Hals, das Ohr, die Wange.
Ein paar Sekunden später setzte sie sich auf und wischte sich lachend die Tränen weg. Ihr Körper fühlte sich weich an, mit der sandigen Glätte einer attischen Statue.
Sie seufzte. »Ich hab’s geschafft!«, verkündete sie. Und setzte verlegen hinzu: »Ich bin gekommen!« Ihre Augen funkelten. Sie kicherte, dann warf sie sich neben ihn aufs Bett. Das Licht von der Straße beleuchtete ihr Gesicht. Sie betrachtete die Decke, als wäre sie der Nachthimmel.
»Es fühlt sich echt gut an«, sagte sie erstaunt.
»Ich weiß.« Er lachte.
Sie sprang auf. »Ich muss Agatha anrufen.« Sie kramte in ihrer Tasche nach dem Handy.
»Warte. Das kann nur ein Scherz sein. Jetzt?« Er stützte sich auf einen Ellbogen. »Und was ist mit mir?«
Sie klappte das Telefon auf.
»Ich muss es ihr sagen«, erklärte sie. »Es ist in ihrem Zimmer passiert.«
Sie dösten – Tiere im Winterschlaf. Der Wind peitschte die altmodischen Sprossenfenster, der Heizkörper strahlte Wärme aus, auf dem schmalen Bett lagen Agathas bestickte Kissen. Eigentlich hätte Andrew daran denken müssen, dass vor zweihundert Jahren Lord Byron ein solches Zimmer bewohnt haben musste, aber er tat es nicht. Vor acht Stunden war er zerschlagen und angeekelt von sich selbst aus dem Royal Tredway Hospital gekommen, und jetzt lager an einem geheimen Ort glücklich, sicher und zufrieden in Persephones Armen. Er schloss die Augen und schlief sofort tief und fest; er war ein U-Boot, das in einen ruhigen Ozean abtauchte und durch Seegras pflügte; ein großer goldener Fisch mit schillernden Schuppen dümpelte außer Sichtweite im Dunkeln; Schatzkisten lagen im Schlamm.
Als er aufwachte, umwirbelte ihn die Luft, so dicht wie der Ozean. Nur ein kleiner orange glühender Lichtpunkt durchdrang den Nebel. Andrew starrte ihn verschlafen an und versuchte zu entscheiden, ob er zu seinem Traum gehörte. Oder kam das Licht von der Straße? Erst als es sich näherte, überkam ihn Angst. Es war eine Kerze. Dahinter eine Gestalt. In diesem Zimmer. Agatha? Hatte sie etwas vergessen? Sie würde keine Kerze brauchen, antwortete sein Verstand. Dann sah er ihn. Er war wieder nackt. Dieses Mal schneeweiß und hager; ein Hautlappen hing schlaff vom knochigen Brustkorb. Seine Haltung war gebeugt, und er bewegte sich nur zentimeterweise vorwärts. Die Lippen waren aufgesprungen, wiesen rote Flecken auf. Die Augen waren fast ganz in den Höhlen versunken, und jeder Atemzug war die reinste Qual. Er muss entsetzlich frieren, dachte Andrew und hatte plötzlich Mitleid. Harness starrte sie an – dies war der Blick einer Person, die den Geliebten mit jemand anderem im Bett vorfindet – nicht unerwartet. Dann konzentrierte er sich auf Andrew, dem ein eisiger Schauer über den Rücken lief. Er nimmt mich wahr . Andrew wollte sich bewegen, aber er war wie gelähmt. Harness stellte die Kerze auf den Boden. Die Matratze quietschte, als ein Gewicht sie niederdrückte. Er kann sich unmöglich zu uns ins Bett legen!, protestierte Andrew im Stillen. Wieder ein Quietschen, diesmal etwas schwächer. Er kann nicht mehr viel wiegen . Harness war ins Bett gekrochen undsaß jetzt rittlings auf Persephone, dabei stützte er einen Arm neben Andrew aufs Bett. Sein Hüftknochen stand so weit vor, dass er einen Schatten warf. Er stank nach Urin wie ein Obdachloser und nach verwesendem Fleisch. Der weiße Kopf war nur Zentimeter von Andrews entfernt, und Andrew
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