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Weißer Teufel

Weißer Teufel

Titel: Weißer Teufel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Justin Evans
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anerkennend.
    »Keine Knutschereien in der Wren«, mahnte Lena. »Reggie ist auf dem Weg hierher. Bestimmt tritt er ordentlich in die Pedale. Kommt mit.«
    »Wohin?«, wollte Andrew wissen.
    »Ins Gewölbe«, antwortete sie.
    Über die breite Treppe, die sie heraufgekommen waren, gelangten sie in eine enttäuschend moderne Studentenbibliothek mit Teppichboden, niedrigen Decken und besetzten Lesenischen. Lena dirigierte ihre Gäste zu einer Personaltreppe und ging voran.
    »Jetzt befinden wir uns unter dem Gebäude«, erklärte sie, als sie eine massive Tür erreichten. Sie tippte einen Code ins Sicherheitsschloss und öffnete die Tür. »Ihr merkt, hier drin ist es kälter. Wir müssen darauf achten, dass immer eine gleichbleibende Temperatur und eine Luftfeuchtigkeit von fünfundsechzig Prozent herrschen. Der Fluss ist in unmittelbarer Nähe. Die Wände sind mit Beton, der die Feuchtigkeit abhält, verstärkt. Praktisch sind wir gerade in einer unterirdischen Betonschachtel. Und hier«, sie stieß die Tür zu einer Metallkammer auf, »bewahren wir die Handschriften und auch die Briefe auf. Komm. Ich zeige sie dir.«
    Andrew begleitete sie in einen schmalen Durchgang zwischen über vier Meter hohen Drehregalen.
    »Ich hoffe, du vertraust deinen Freundinnen«, raunte sie.
    »Wieso?«
    »Jedes dieser Regale wiegt eine Tonne. Wenn sie an der Kurbel drehen, werden wir zermalmt.«
    »Sie haben einen eigenartigen Humor.«
    »Das vertreibt die Zeit.« Sie nahm eine graue Kassette aus dem Regal. »Komm, wir warten im Besprechungszimmer auf Reggie.«Dr. Reggie Cade riss erhitzt und außer Atem von der schnellen Fahrt mit dem Rad (Andrew ertappte Lena bei einem zufriedenen Lächeln, weil sie mit ihrer Vermutung recht gehabt hatte) die Tür auf. Er war eine imposante Erscheinung über eins achtzig, riesiger Bauch, grüne Strickjacke, grüne Krawatte, hohe Gummistiefel, als hätte er gerade im Garten gearbeitet, und eine große Öljacke. Er war in den Fünfzigern mit rundem Gesicht und Doppelkinn. Blonde und graue Bartstoppeln. Ein Auge schaute in eine andere Richtung als das andere. Seine Hände waren weich und fleischig mit langen Nägeln  – ein solches Aussehen scheinen nur Engländer zu haben, die ihr Leben lang jeden Sport vermieden hatten. Alles in allem war er kein attraktiver Mann, aber er hatte eine volle Bassstimme: Orson Wells mit Manchester-Akzent. Andrew konnte ihn sich als faszinierenden Dozenten vorstellen. Er blieb auf der Schwelle zu dem drei mal drei Meter großen Raum mit Teppichboden, Neonbeleuchtung und einem runden Tisch mit Stühlen stehen. Die jungen Leute scharten sich um Lena, als sie die Kassette öffnete und ein Dutzend stockfleckige Briefe auf dem Tisch ausbreitete.
    Dr. Cade musterte sie mit seinem gesunden Auge. »Ich sehe hier nur einen Jungen, und die Briefe wurden in Harrow entdeckt, deshalb nehme ich an, du bist der Finder«, sagte er zu Andrew, während er sich das Gesicht mit einem Taschentuch abwischte.
    Andrew erzählte von dem Zisternenkeller und der Keksdose.
    Cade schüttelte kichernd den Kopf. »Waren es Kekse der Marke Byron?« Andrew grinste  – der Mann gefiel ihm immer mehr. »Das ist eine abenteuerliche Geschichte. Gut, Lena, sehen wir uns die Exemplare an.«
    »Trockene Hände, Dr. Cade?«
    »Piesacken Sie mich nicht, Mädchen.«
    »Haben Sie die Briefe gelesen?«, fragte Andrew eifrig.
    »Das habe ich.«
    »Und?«
    »Ein Jammer, dass deine Keksdose nicht ein wenig wasserdichter war«, sagte Cade und berührte die Blätter. »Diese Fasern hafteten aneinander, weil sie feucht geworden sind und zweihundert Jahre fest aufeinandergedrückt waren. Als wir die Blätter voneinander lösten, sind einige Fasern zerrissen, und vieles ist unlesbar. Ganz zu schweigen von den Flecken. Dennoch können wir so manche Passage entziffern. Und was wir da gelesen haben!« Er schaute in die Runde, als wollte er jedem drohen, der ihm widersprach. »Als mir Lena sagte, dass die Briefe möglicherweise Lord Byron gehört haben könnten  … Woher wusstest du das überhaupt? Du konntest sie ja nicht lesen!« Cade durchbohrte Andrew mit einem Blick.
    »Ich lebe im selben Haus wie Byron seinerzeit.«
    »Und Hunderte andere Schüler.«
    »Ich spiele Byron in einer Schulaufführung. Vermutlich spukt mir Byron im Kopf herum.«
    »Wohnte dieser John Harness auch in dem Haus?« Andrew erstarrte. Er spürte, dass ihn alle verwirrt ansahen. Cade lachte leise. »Der Name ist dir bekannt, wie? John Harness,

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