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Weißer Teufel

Weißer Teufel

Titel: Weißer Teufel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Justin Evans
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Byrons Geliebter und Kommilitone im Trinity. Du weißt viel über Lord Byron, wie ich sehe. Allerdings nehme ich an, dass es keine Gedenktafel für Byron und seinen jungen Freund in Harrow gibt. Schulen neigen dazu, derlei Angelegenheiten unter dem Deckel zu halten.« Andrew schüttelte den Kopf. »In den Aufzeichnungen wird Harness als Unschuldslamm dargestellt. Alsfrühes Byron-Opfer. Dazu hat Byron selbst erheblich beigetragen.
    Those eyes proclaim’d so pure a mind,
    Even Passion blush’d to plead for more.
    Aber was wir hier vor uns haben … mein lieber Schwan«, tönte er laut, um seine Verlegenheit zu kaschieren. »Das hier ist der Beweis, dass der ach so unschuldige junge John Harness weit davon entfernt war, rein zu sein. Im Gegenteil – er war ein Teufelsbraten.«
    »Woher wissen Sie, dass es sich um Harness handelt?«, brachte Andrew heraus.
    »Woher?« Der Professor reckte stolz das Kinn nach vorn. »Ich habe diese Briefe mit der detaillierten Chronologie von Byrons Leben abgeglichen, die ich in dreißig Jahren erstellt habe.«
    »Und die Briefe passen da hinein?«
    »Perfekt«, antwortete Cade mit einem triumphierenden Lächeln. »Deshalb bin ich hier.« Er arrangierte die Blätter so, dass er sie direkt vor sich hatte. »Der Schreiber ist nicht Byron. Ich glaube, sie stammen von Harness selbst. Dies wären die ersten Briefe von einem homosexuellen Liebhaber Byrons.«
    Andrew beugte sich eifrig vor.
    »Woran erkennen Sie das?«
    »Drei Faktoren sind ausschlaggebend: die Chronologie, die Intimität zwischen den beiden sowie der Tenor der Briefe. Die ersten sind Briefe eines Verliebten, die späteren zeugen von eifersüchtiger Besessenheit.« Dr. Cade setzte seine Lesebrille auf und beugte sich über die Seiten wie ein Vogel, der einen Wurm inspiziert. Dann entschieder sich für einen Brief. »An Byron. Sommer 1808. Die Tränen, die ich im Geheimen vergossen habe, sind Beweis meines Kummers. Ich war und bin der Deine. Ich habe hier & jenseits des Grabes alles für Dich aufgegeben. Jenseits des Grabes«, wiederholte Cade.
    Andrew spähte zu Persephone. Ihr Gesicht wirkte aschgrau in dem grellen Licht.
    Dr. Cade nahm die Brille ab. »Ein Jahr später starb Harness. Er muss gewusst haben, dass er Tuberkulose hatte und dass seine Überlebenschance sehr gering war. Damals wurde Schwindsüchtigen frische Luft verordnet. Reisen nach Spanien oder Aufenthalte am Meer. Aber dazu brauchte man Geld. Harness hatte das Trinity gerade verlassen und war bitterarm. Er musste eine Stelle als Sekretär in London annehmen und konnte sich keinen Luxus leisten. Und da haben wir das vierte Thema in diesen Briefen.«
    »Welches ist das?«, hakte Andrew nach.
    »Der Tod. Ein verzweifelter junger Mann siecht langsam dahin. Ein Brief an die Albemarle Street adressiert – im März. Der Winter muss ihm schwer zu schaffen gemacht haben.
    Wenn Du durch irgendeinen widrigen Umstand meinen letzten Brief nicht erhalten haben solltest … Er beginnt mit einem Vorwurf: Wo sind die Zuwendungen, mit denen ich mich über Wasser halten könnte? Wo ist das Geld für meine Auslandsreise? Er wollte, dass ihn sein reicher Freund finanziell unterstützte. Und Byron ist –  typisch für ihn  – in den falschen Momenten selbstsüchtig. Wir sprechen hier von einem Mann, der später seine eigene Tochter in einem italienischen Kloster sterben lässt.«
    Cade überflog die Seiten.
    »Ein Teil ist unlesbar. Mein Husten und – wieder nicht zu entziffern, vielleicht heißt es Fieber  – sind nicht besser … aber auch wenn mich das zwingt, die ganze Nacht aufrecht zu sitzen und ein Taschentuch an den Mund zu drücken … das sieht aus wie hungere ich  – nach Dir und Nachrichten von Dir. Er fühlt sich noch wohl genug, um sich eines schwülstigen Stils zu bedienen. Das bleibt nicht so. Und das Schreibpapier wird auch knapp. Im nächsten Brief füllt er den ganzen Bogen und schreibt an den Rändern von unten nach oben weiter.« Cade legte den Brief auf den Tisch und nahm den nächsten zur Hand. » In mir ist ein kranker Kern, und es ist nicht leicht, ihn herauszuziehen. Ich habe aufgehört, in die Firma zu gehen. Harness’ Stellung in einer Londoner Firma, einer Reederei, war zur damaligen Zeit untere Mittelklasse; nach heutigen Maßstäben würden wir sagen, er wurde schlecht bezahlt. Könnt ihr euch vorstellen, welch ein isoliertes Leben er führte? Seine verarmte Familie hatte kein Interesse mehr an ihm. Homosexuell, allein, bankrott

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