Weißer Teufel
Die Schule schließen? Montague nutzte die Gelegenheit, Jute zu korrigieren, aber kein Mensch interessierte sich dafür, dassHarrow im Jahr 1840 schon einmal wegen Diphtherie evakuiert worden war.
Miss Palek ergriff das Wort – so leise, dass alle anderen gezwungen waren, still zu sein und gut zuzuhören; sie informierte sie, dass die HPA kein Interesse daran hatte, den Schulbetrieb einzustellen. Im Gegenteil, sie empfahlen dringend, die Schüler hierzubehalten.
Jute reckte zufrieden das Kinn. »Etwas anderem hätte ich auch niemals zugestimmt«, erklärte er.
»Es ist nur logisch«, führte sie aus. »Andernfalls würden sich die Schüler in alle Richtungen Großbritanniens, sogar der Welt verteilen. Damit würden sie den Erreger weit streuen. Wenn dann eine Pandemie entstünde, wären Sie dafür verantwortlich.«
Jute wurde sichtlich mürrisch.
Ronnie Pickles beugte sich vor. »Das Beste wäre«, begann er mit einem leichten Cockney-Akzent im Tonfall eines menschlichen Jack Russel, »der HPA zu gestatten, die Untersuchungen zu beenden. Wir werden eine Ausgangssperre verhängen, die Schule unter Quarantäne nehmen und Hauttests bei allen Schülern durchführen müssen. Sofort. Und dann noch einmal in acht oder zwölf Wochen. Und für diejenigen mit positiven Resultaten? Eine besondere …«
»Ausgangssperre?«, rief der Rektor.
»Zwölf Wochen Quarantäne?«, setzte Montague beunruhigt hinzu.
Das führt zur Rebellion. Wie soll das gehen? Wird der Unterricht weiter stattfinden? Alle nur auf das Schulgelände beschränkt? Was sollen wir den Eltern sagen? Pickles wurde bleich; offensichtlich wunderte er sich, dass er nicht für seinen gründlich durchdachten, strikten Plan gelobt wurde.
Der springende Punkt ist, sagte Georgina, dass wir unser Vorhaben zwar erklären, aber die Worte Ausgangssperre oder Quarantäne nicht erwähnen. Wir geben ihm gar keine Bezeichnung und unterlassen alle Verlautbarungen …
Was hat es mit diesen Hauttests auf sich?, schrie Dr. Rogers, um sich verständlich zu machen.
Pickles begann zu antworten, doch Jute übertönte alle, um die Ordnung wiederherzustellen: »Schon gut, schon gut.« Er machte Ronnie Pickles herrisch klar, dass eine Ausgangssperre nicht in Frage käme und dass sie keine Hauttests zulassen würden. Dies ist eine Schule, kein Hospital .
Pickles straffte die Schultern und wandte sich an die anderen. »Vielleicht kann jemand eine Alternative vorschlagen?«
Miss Palek konnte. Sie habe den inneren Kreis der letzten bestätigten Infizierten festgesteckt, sagte sie – die Bewohner des Hauses Lot. (Sie nickte Fawkes zu. Jutes Miene wurde noch finsterer.) Wie die Praxis gezeigt hatte, war es das Beste, die Aktionen auf die betroffenen Jungs zu beschränken. Sie wurden bereits getestet, und jetzt musste man nur noch die Ergebnisse abwarten. Das Resultat der aussagekräftigen Blutuntersuchung würde frühestens morgen eintreffen. Demnach mussten sie nur die nächsten vierundzwanzig oder achtundvierzig Stunden überbrücken, in denen die Eltern Sturm laufen würden. Dies war die kritischste Zeit, weil Unsicherheit herrschte. Die beiden Jungs – und nur die – während dieser Periode nach Hause zu schicken war die beste Option.
Allerdings, fügte sie hinzu, komme einer dieser Schüler aus Amerika. (Fawkes nickte.) Ihn nach Hause zu schicken wäre unklug. Sie würden niemals einen Patienten mit Verdacht auf Tb in ein Verkehrsflugzeug setzen. Sie überlegteeine Weile. Vielleicht konnte man ein anderes Arrangement für den Amerikaner in den nächsten vierundzwanzig bis achtundvierzig Stunden treffen – ein Arrangement, mit dem sich die Eltern einverstanden erklären und sie alle so extremen Schritte wie Tests an allen Schülern vermeiden konnten.
Die Anwesenden dachten über diesen vernünftigen Vorschlag nach.
»Wo ist er jetzt, Piers?«, wollte Jute wissen.
Fawkes wurde rot.
Er hatte keine Ahnung, wo Andrew Taylor steckte.
In der Nacht zuvor hatte Fawkes eine nagende Unsicherheit gespürt. Er war ohnehin nervös und unruhig gewesen nach dem Tag im Hospital und den unheilvollen Warnungen. Er wollte Andrew sehen und sich überzeugen, dass ihn diese verheerende Krankheit nicht niedergestreckt hatte. Er war durch den dunklen Flur gegangen, der die Wohnung des Hausvaters mit den Schülerquartieren verband. Alles war still. Er war keuchend in den dritten Stock gestapft, schaute bei Rhys vorbei, der gerade seine Sachen packte: Seine Eltern bestanden darauf, ihn
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