Weißer Teufel
nach Hause zu holen.
In Andrews Zimmer brannte kein Licht. Es wirkte unbewohnt. Die Vorhänge waren offen, obwohl es längst dunkel draußen war. Er wählte Andrews Mobilnummer und hinterließ eine Nachricht.
Stunden später sah er noch einmal nach – mit demselben Resultat.
Fawkes schlief wenig. Am Morgen – nachdem er sich alle möglichen Missgeschicke, Verbrechen und Tragödien ausgemalt hatte, ging er noch einmal los und fand Andrews Zimmer genauso vor wie am Abend.
Bei Tagesanbruch verabschiedete er Rhys neben dem Volvo der Eltern (er hatte sie gebeten, eine diskrete Zeit für den Aufbruch zu wählen), dann meldete sich die Panik erneut. Er rief Dr. Kahn an: Wie, zum Teufel, der Name ihrer Bekannten bei dieser Bibliothek lautete? ( Wren, berichtigte sie ihn gelassen. Lena Rasmussen .) Nach etlichen Anrufen im College hatte er Lenas Nummer herausgefunden, doch er erreichte nur die automatische Stimme, die ihm sagte, dass der Teilnehmer der Nummer … zurzeit nicht erreichbar sei. Endlich setzte er sich hin, um in aller Stille durchzudrehen. Er rauchte eine Zigarette nach der anderen, bis ihm schlecht wurde und er loslaufen musste, um eine Unterrichtsstunde über die verdammte Emily Dickinson zu halten.
Amerikaner . Sie waren überall, nur nicht dort, wo man sie brauchte.
Seine Gedanken waren abgeschweift.
»Wie bitte?« Er klang so nutzlos, wie er sich fühlte.
»Hören Sie doch zu, um Gottes willen«, rief der Rektor. Alle Blicke waren auf Fawkes gerichtet. »Wo ist der Junge? Andrew Taylor! Sicherlich wissen Sie, wer das ist, oder?«
»Natürlich. Er ist im Lot und ruht sich aus. Möglicherweise hat er heute den Unterricht versäumt. Ich habe ihn gebeten, den anderen fernzubleiben. Sie wissen schon – so lange, bis die Testergebnisse da sind.«
Alle schwiegen. Fawkes war nicht sicher, ob ihm irgendjemand glaubte. Es gab eigentlich keinen Grund, an seiner Aussage zu zweifeln. Abgesehen von der Tatsache, dass sie reine Erfindung war.
»Irgendwelche Ideen?«, forderte Jute alle Anwesendenheraus. »Wo sollen wir ihn unterbringen? Wir sollten ihn für einen oder zwei Tage aus der Schule entfernen. Das ist doch der Sinn, oder nicht? Ist jemand bereit, ihn aufzunehmen?«
Betretenes Schweigen.
»Das war ein Scherz«, sagte Jute matt.
»Wir quartieren ihn im Three Arrows ein«, schlug Montague vor. »Das ist ein Inn am Fuß des Hügels«, erklärte er Miss Palek und Ronnie Pickles. »Es ist verstaubt und schäbig – dort bleibt er sicher für sich allein. Manche Eltern übernachten am Speech Day in dem Haus, aber ich kann nicht behaupten, jemals andere Gäste dort gesehen zu haben. Wie dieses Inn überleben kann, ist mir ein Rätsel, aber das ist ja nicht unser Problem.«
»Ich schaue mir das an«, verkündete Ronnie Pickles. »Ich will sichergehen, dass die Unterkunft geeignet ist.«
»Abgemacht. Fawkes und Sie, Mr. Pickles, bringen den Jungen zu dem Inn.«
Jute winkte sie hinaus. »Georgina, Owen, Sie tragen ein paar Argumente zusammen. Stimmen Sie sie mit mir ab. Wir sprechen zuerst mit den Kollegen und Angestellten, dann mit den Eltern …«
Alle erhoben sich und gingen mit gesenkten Köpfen an Fawkes vorbei oder schenkten dem Gebrandmarkten ein verkniffenes Lächeln. Schließlich gesellte sich Ronnie Pickles zu ihm; ihm war nicht entgangen, dass der Hausvater einen schweren Stand in dieser Schule hatte, deshalb zwinkerte er ihm einschmeichelnd zu. »Bereit, die Schule zu einem sichereren Ort zu machen?«, fragte er.
»He«, antwortete Fawkes. »Dann sind wir also Komplizen, was?«
Pickles stutzte. »Komplizen … wie Verbrecher? Siemüssen ein richtig schlechtes Gewissen haben. Wir tun Gutes!« Er schlug Fawkes auf den Rücken und grinste.
Sie gingen zur dunklen feuchten High Street. Fawkes war nervös; er kontrollierte sein Handy und steckte sich eine Zigarette an. Pickles wartete geduldig. Fawkes fiel nichts ein, womit er die Situation retten könnte. Der verdammte HPA-Mann wollte ihn zum Lot begleiten. Er würde sehen, dass Andrew nicht da war. Was dann? Würde er Alarm schlagen? Eine Menschenjagd organisieren?
Weil er nicht wusste, was er sonst tun sollte, schlenderte er in Richtung Lot und stellte Pickles banale Fragen. Er nutzte die Zeit, in der Pickles redete, zum Nachdenken. Er zermarterte sich das Gehirn, mit welchen Ausflüchten er sich herausreden könnte.
Oh, zu schade. Er ist wahrscheinlich in der Bibliothek.
Wo er andere Schüler anstecken könnte? Nein, lass dir
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