Weißer Teufel
gerümpfter Nase in den Ausguss geschüttet.
Die beiden Männer – Father Peter mit seinem Priesterkragen und Fawkes mit Krawatte – betraten das Schulgebäudeund öffneten die breite Tür zum mit Kerzen erleuchteten Klassenzimmer von Mr. Toombs’ Lateinkurs. Nur ein paar Gesichter rund um den Tisch waren zu sehen. Von acht Schülern sahen sie vier – Antoniades, Askew, Wallace und Christelow –, von drei Lehrkräften zwei. Dr. Kahn zündete die letzten Kerzen an. Mr. Toombs stellte die Silberkelche auf den Tisch. Wallace öffnete eine neue Madeiraflasche und machte sich ans Einschenken.
Fawkes stellte sich mit dem Rücken zum Fenster. »Kein Andrew ?«, fragte er.
Dr. Kahn schüttelte den Kopf.
»Ist Andrew nicht einer der Typen, die krank waren?«, bemerkte der schlaksige Rupert Askew träge. »Vielleicht kann er nicht kommen.«
»Er kommt«, entgegnete Fawkes.
»Ist das ratsam?« Askew schaute von einem Gesicht zum anderen. »Eine Menge Gerüchte sind im Umlauf – speziell über ihn.«
»Was für Gerüchte?«, hakte Mr. Toombs nach.
»Na ja, dass er die Krankheit aus Amerika mitgebracht hat. Dass er Theo Ryder getötet hat. Und diese anderen beiden …«
»Das ist unverantwortlich!«, schnitt ihm Mr. Toombs das Wort ab. »Nichts als unsinniger Klatsch.«
»Sir, Sie haben mich nach den Gerüchten gefragt«, verteidigte sich Askew. »Und ich bin auch nicht der Einzige, der so denkt. Harris bleibt deswegen der heutigen Clubversammlung fern.«
»Turnbull und die anderen«, fügte Christelow hinzu, »haben beim Abendessen darüber gesprochen.«
»Das kann doch nicht wahr sein!«, sagte Mr. Toombs. »Piers?«
»Es stimmt nicht«, erklärte Fawkes. »Andrew ist nicht krank. Er wurde untersucht.«
»Andrew verlässt die Schule«, verkündete Wallace, während er den ersten Kelch füllte.
»Er verlässt Harrow ?«, wiederholte Mr. Toombs.
»Ich hab ihm vorhin eine Mail geschickt, weil ich eine Frage wegen der Hausaufgaben hatte; er schrieb zurück, dass er die Hausaufgabe nicht macht, weil er aus der Schule genommen wird.«
»Müssen wir hierbleiben?«, fragte Askew.
»Die Beteiligung am Essay Club ist freiwillig«, gab Mr. Toombs scharf zurück. »Aus der Schule genommen? Von wem?«
»Von seinen Eltern«, sagte Wallace. Wallace hatte einen leichten Buckel und eine teigige Gesichtsfarbe; wenn er redete, hatte man das unangenehme Gefühl, dass er die Worte manipulierte und mit ihnen spielte wie sadistische Kinder mit Insekten und Käfern. Er schien sich diebisch über diese Nachrichten zu freuen.
»Ich schätze, sie haben Angst«, meinte Askew. »Bei den Krankheits- und Todesfällen im Lot ist das nur zu verständlich.«
»Und Sie verlassen uns auch, Mr. Fawkes?«, wollte Nick Antoniades wissen.
Nick wohnte im Headlandhouse. Bestimmt hat Sir Alan etwas verlauten lassen, dachte Fawkes. »Ja, das stimmt.«
»Wirklich, Piers?« Mr. Toombs schnappte nach Luft.
Askew stürzte sich auf diese Neuigkeit. »Was? Sie verlassen die Schule?«
»Ganz recht.«
»Das ist verrückt!« Er lachte. »Ehrlich, Mr. Toombs – warum sind wir hier? Der Vortragende lässt sich nicht blicken – und selbst wenn er hier wäre, er ist kein Schüler von Harrow mehr. Auch einer der Lehrer gehört nicht mehr der Schule an. Hat die Veranstaltung hier überhaupt noch etwas mit Harrow zu tun?«
»Du benimmst dich extrem ungehobelt, Rupert. Ich ziehe ernsthaft in Erwägung, dich zu bitten, ganz aus dem Club auszutreten«, wies ihn Mr. Toombs zurecht. Askew war sichtlich verletzt. Die anderen Jungs grinsten. »Unsere Club-Vorsitzende hat eine Versammlung einberufen. Bis sie eine andere Entscheidung trifft, bleiben alle hier. Soviel ich gehört habe, hat Andrew seinen Essay in kürzester Zeit verfasst. In Anbetracht dessen und vor allem nach dem, was ich heute Abend gehört habe, sollten wir ihm noch ein paar Minuten zugestehen …«
In diesem Moment flog die Tür auf. Die Kerzen flackerten. Andrew stand mit einem Papierbündel in der Hand auf der Schwelle. Er sah müde aus.
Er merkte es sofort. Sobald er die Tür geöffnet hatte. Dieses Unter-Wasser-Gefühl. Der pulsierende Druck und die Spannung waren so stark, dass sie ihn fast aus dem Raum katapultierten. Und er nahm die Augen wahr. Obschon er seinen Platz auf dem hochlehnigen Stuhl an der Stirnseite des Tisches noch nicht eingenommen hatte, fühlte er, wie die Blicke diese Stelle durchbohrten, als wären sie ihrer Zeit ein wenig voraus – schon jetzt
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