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Weißer Teufel

Weißer Teufel

Titel: Weißer Teufel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Justin Evans
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es kein Zurück mehr gab, dass das Abgleiten in den Tod begann. Er fühlte seinen Sog.
    Hrr hrr hrr hrr  – einatmen.
    Hrch  – ausatmen.
    Seine Atmung war schwach. Ein reiner Austausch von Gasen. Von ihm selbst war nur noch wenig übrig.
    Millimeter für Millimeter richtete er sich auf, stützte sich auf die Ellbogen. Er glaubte, sich vor Anstrengung übergeben zu müssen. Er streckte einen zerbrechlichen Arm aus und zog sich an ihm hoch wie an einer Fahnenstange. Für einen Moment blieb er in dieser Position, der Ohnmacht nahe, halb schwebend, dann fiel er wie eine Statue ins Wasser.
    Das Zisternenwasser umhüllte ihn mit einem Seufzen.
    Das Fieber war gelindert.
    Andrew Taylor stand bis zur Hüfte im kalten Fluss Cam, seine Füße im Schlamm.
    Es war Sommer. Er war betrunken. Nackt. Strahlendblauer Himmel über ihm. John Harness planschte neben ihm. Ein angestautes Becken im Fluss Cam – einer ihrer vielen Zufluchtsorte. Andrews Körper war wiederhergestellt und gesund – er hatte Gänsehaut von der Kälte und der Erregung.
    Harness – er zeigt mir, warum er zurückgekommen ist.
    Er und Harness hatten sich nie zuvor geküsst; nur sittsame flüchtige Küsschen auf die Wange, die auch als Zeichen der Freundschaft gedeutet werden konnten. Na ja, nicht wirklich . Aber mit Lust hatten sie nichts zu tun. Doch der Alkohol machte es unausweichlich; es war nur eine Frage der Zeit; es schien, als würde sein ganzer Körper nach Harness greifen. Andrew hatte nie etwas Atemberaubenderes gesehen: blaue Augen, helles Haar, weiße Haut, wohlgeformter Körper. Harness war wie ein aus Marmor gehauener Flussgott; Andrew wollte ihn kennenlernen, ihn verzehren. Harness kam auf ihn zu, und ihre Gesichter trafen sich zu einem so hungrigen Kuss, dass sie sich fast bissen. Andrew zog sich zurück. Er fühlteetwas an seiner Hand, Treibgut im Wasser. Er hob es hoch und hielt es sich vor die Augen – eine späte Juniblüte; die Blütenblätter, so groß wie Fingernägel, waren rund und weiß und hatten einen schwarzen Rand. Ein Zeichen des Sommers. Zart, frisch und gut.
    Er hatte sie schon einmal gesehen.
    Er schaute Harness in die Augen und sah, was kommen würde.
    Der sonnige, geschützte Platz im Cam verschwand. Die Zeit rief ihn an einen anderen Ort.
    Und dies ist der Punkt, zu dem alles führte.
    Er befand sich in einem kleinen Zimmer in London. Da waren ein Bett, eine kleine Kommode und ein Schrank mit zerbrochener Türangel. Mehr konnte sich John Harness nicht leisten. Draußen war es dunkel. Er wusste nicht, wie spät es war, Tag oder Nacht; es könnte vier oder fünf Uhr morgens sein. Die Totenwache dauerte an. Auf einem kleinen Tisch brannte eine einzelne Kerze – ein winziger Lichtpunkt. Harness lag im Bett; sein Kiefer bewegte sich in der Art, die dem Tod vorausging. Das weißblonde Haar strähnig, ungekämmt und lang. Die Wangen hohl. Das Todesröcheln. Außer dem jungen Mann, dessen Leben zu Ende ging, war kein Mensch da. Die Kerze flackerte und erlosch, das Zimmer lag im Dunkeln. Niemand zündete die Kerze wieder an. Das Todesröcheln hielt an. Als der Tag über London anbrach – Hufgetrappel und Stimmen auf der Straße laut wurden –, beleuchteten die Sonnenstrahlen, die durch den Vorhang sickerten, einen Toten.
    Lobet den Herrn mit Harfenklängen, stimmt einen Psalm an und singt ihm ein neues Lied; blast die Fanfare … Die Stimmen zogen Andrew aus dem Sterbezimmer.
    Er spürte das Wasser, seine Glieder. Er hatte kein Fieber mehr. Er schwamm in einem kleinen Becken. Er wusste, wo er war. Die Zisterne. Die Krankheit war weg. Er hatte überlebt! Der Gesang –  eine Handvoll dilettantischer, aber lauter und kräftiger Stimmen  – drang zu ihm. Er wünschte sich nichts mehr, als bei den Sängern zu sein.
    Doch dann sah er Harness vor sich. Das weißblonde Haar trieb in dem schmutzig braunen Wasser, in dem Regenwasser, das Harness selbst in diesem Herbst über Harrow gebracht hatte. Sie schwammen gemeinsam. Sie waren noch immer im Kampf vereint. Harness’ Gesicht war grimmig. Die Augen funkelten vor Wut. Allerdings fiel Andrew auf, dass sie auch Verwirrung und Angst ausdrückten. John Harness hatte die Person, die er getötet hatte, nicht gekannt – jetzt wusste er, wer sie war. Ihm war nicht klar gewesen, welche Irrtümer er begangen hatte – mittlerweile wusste er es. Und er hatte nicht begriffen – hier in seinem Gefängnis, in dieser Höhle, außerhalb der Zeit –, dass er wirklich tot

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