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Weißer Teufel

Weißer Teufel

Titel: Weißer Teufel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Justin Evans
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Andrew.
    »Versuchen wir’s.« Und dann überraschte sie Andrew mit einem Lächeln.
    Sie standen nebeneinander und überflogen Seite um Seite des Harrow Registers . Beim Blättern wirbelten sie Staub von jahrhundertealtem Papier
     auf. Es dauerte eine Weile, bis Dr. Kahn auf einen Eintrag zeigte. »Da, das ist unser Junge.«
    HARNESS, JOHN (The Lot). Stipendiat. Northolt, Harrow.
    Drama: The White Devil, Beggar’s Opera. Schulabgang: 1807. Gestorben im Juli 1809.
    »Woher sollen wir wissen, dass er der Richtige ist?«, fragte Andrew.
    »Im Register werden die Theaterstücke nur erwähnt, wenn der Schüler eine wichtige Rolle gespielt hat. Fawkes hat mir erzählt, dass dein Junge Hauptdarsteller war.«
    Andrew warf einen Blick auf den Eintrag. »John Harness«, murmelte er und starrte auf den Namen. »Jetzt weiß ich, wie er heißt.«
    »Und noch viel mehr«, warf Dr. Kahn ein.
    »Was zum Beispiel?«
    »Sag du es mir.« Sie trat einen Schritt zurück und betrachtete Andrew.
    Andrew überflog den Eintrag noch einmal. »Ah  … Northolt, Harrow. Er stammte aus der Gegend.«
    »Gut.«
    »Er starb zwei Jahre nach seinem Schulabgang.« Er dachte an die weiße Haut und die eingesunkenen Augen. Konnte das das Gesicht eines Zwanzigjährigen gewesen sein?
    »Du hast das wichtigste Wort übersehen und nicht gemerkt, dass zwei Worte fehlen.«
    Andrew sah sie verwirrt an.
    »Das wichtigste Wort ist Stipendiat . Das geht auf die Ursprünge der Schule zurück. Harrow wurde als Wohltätigkeitseinrichtung für die Erziehung der ortsansässigen armen Kinder gegründet. Bis die Lehrer die Entdeckung machten, dass es Geld einbringt, wenn sie Pensionatsschüler aufnehmen. Sie konnten für die Unterbringung und dieKost überhöhte Preise verlangen und ließen die Schüler im Dreck hausen. Den Gewinn steckten sie in ihre Taschen.«
    »So etwas haben Lehrer gemacht?«
    »Schockierend, oder?«
    »Dreck«, wiederholte Andrew. »Und die Ratten rannten in den Schlafsälen herum.«
    »Ja, so ungefähr. Die Internatsschüler wurden Foreigners genannt, weil ihre Familien nicht in der Gegend wohnten. Und sie kamen aus ganz England. Viele waren adelig. Alle reich. Sie subventionierten den Schulbetrieb. Du kannst dir vorstellen, wie sie die Stipendiaten behandelten.«
    »Wie?«
    Dr. Kahn senkte den Blick auf das Buch und berührte leicht die Stelle mit dem aufgedruckten Namen Harness, John . »Wie verdammten Abschaum. Sie nannten sie Stadtpöbel. Die Misshandlungen wurden derart schlimm …«
    »Sie beschimpften sie als Schlampen und vergewaltigten sie«, platzte Andrew heraus, ohne vorher nachzudenken.
    Schweigen.
    »Das trifft es einigermaßen«, bestätigte Dr. Kahn; ihre Augen bohrten sich regelrecht in seine. »Ich wollte sagen: Die Misshandlungen wurden so schlimm, dass die Stipendien ungenutzt blieben. Niemand wollte sie annehmen. Mit einem Stipendium in die Schule einzutreten kam einem Todesurteil gleich. John Harness dürfte für einige Zeit einer der letzten Stipendiaten gewesen sein.«
    Andrew erinnerte sich an die Szene, die er im Bad des Präfekten erlebt hatte.
    »Und welche zwei Worte fehlen?«, fragte er nach einer langen Pause.
    »Sieh dir die anderen Einträge an.«
    Andrew gehorchte, dann rief er: »Sohn von …«
    »Ab jetzt werde ich besser über die amerikanische Bildung denken. Ganz recht, ›Sohn von‹ fehlt. Wenn du der Sohn eines ortsansässigen Händlers bist oder schlimmer des Laternenanzünders oder des Mistkarrenfahrers, der die Pferdeäpfel aufsammelt, um sie an Leute zu verkaufen, die Dünger brauchen, dann interessiert sich kein Mensch dafür, wer dein Vater ist. Die Klassenunterschiede waren damals krasser als heute, wo einer bei Harrods, der andere im Oxfam-Laden einkauft. Damals war es eher wie in der Dritten Welt: Die Reichen bewohnten komfortable Häuser, hatten jede Menge Nahrung und Brennstoff. Die Armen drängten sich in winzigen Hütten, mehrere Familienmitglieder schliefen in einem Bett zusammen mit Wanzen und anderem Ungeziefer. Sie ernährten sich von Brot und Kohl und bemühten sich, alles zu strecken, damit es länger reichte. Sie hielten Schweine hinter dem Haus. Badeten selten. Trugen geflickte Kleider. Die Fenster wurden versiegelt, um die Wärme, aber auch den Gestank und den Riss im Haus zu halten. Das führt uns zu einem anderen Hinweis auf dieser Seite: 1809.« Sie beäugte Andrew. »Dein Mr. Harness ist seinem Schöpfer ziemlich früh gegenübergetreten. Unter diesen Umständen starben die

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