Weißer Teufel
noch einen Mann aus Ihnen.« Dann widmete er Andrew seine Aufmerksamkeit. »Ich hab dich im Essay Club gesehen.«
»Ja«, erwiderte Andrew distanziert.
»Ihr Werk?«, wollte Sir Alan von Dr. Kahn wissen. Sie nickte. Er musterte Andrew verächtlich von oben bis unten. »Meinst du, du schaffst es, einen Essay zu verfassen, Taylor?«
»Wir diskutieren gerade darüber«, behauptete Dr. Kahn.
»Wirklich? Und das Thema?«
»Das ist noch in der Entwicklung«, sagte sie hastig, ehe Andrew den Mund aufmachen konnte.
»Dann werde ich warten wie alle anderen. Also schön. Ich überlasse Sie der Entwicklung des Themas. Auch wenn mir schleierhaft ist, warum Sie das hier machen. Falls es Ihnen noch nicht aufgefallen ist – es ist Nacht.« Er deutete zum dunklen Himmel. »Ich gehe nach Hause und genehmige mir einen Whisky. Wie klingt das, Piers?« Er grinste. »Punkt neun.«
»Punkt neun«, wiederholte Fawkes.
Sir Alan eilte mit flatternder Robe die Stufen hinauf und verschwand um die Ecke.
»Ob er hören konnte, worüber wir geredet haben?«, fragte Dr. Kahn.
»Ich wollte Ihnen das ohnehin erzählen«, wisperte Andrew. »Er hat mich gestern nach dem Unterricht zurückbehalten und mich Ihretwegen, Piers, in die Mangel genommen. Er drohte, meine Eltern anzurufen, wenn ich Sie nicht verpfeife.«
»Was hast du gesagt?« Fawkes war alarmiert.
»Nichts.«
»Nichts?«
»Ich bin gegangen.«
Fawkes lachte erfreut. »Das hast du getan? Guter Junge!«
»Ich bin kein Verräter«, sagte Andrew grinsend.
Fawkes sank das Herz. Verräter – genau das bist du, was diesen Jungen betrifft. Du machst ihn zum »Köder«, wie Judy sagte . Er sah in das hübsche Gesicht; die grauen Augen glitzerten; das Lächeln war nur halb vorhanden; die andere Hälfte hielt er vorsichtshalber zurück. Fawkes hatte Andrew Taylors Lächeln schon etwa ein halbes Dutzend Mal gesehen, bei ihren Zusammenkünften und den Proben; und hier war wieder eines, extra für ihn – und es war nicht nur ein Lächeln, es enthielt auch eine Art Flehen. Wir sind doch Freunde, oder? Sie schätzen mich. Hundeeifer. Die Sehnsucht einer Waise. Und du nützt ihn aus , schalt er sich. Gott, du bist ein Scheißkerl, Fawkes.
Als sie das Lot erreichten, verabschiedete sich Andrew und wartete, bis Fawkes seine Wohnung betreten hatte.
Ich nenne das Recherche.
Wenn du genügend Informationen beisammenhast, halten wir die Séance ab.
Er stand auf der Einfahrt und dachte nach.
Das Taschentuch.
Das Taschentuch wäre ein handfester Beweis gewesen. Und er hatte es in dem Keller liegen lassen, hauptsächlich weil er so entsetzt war, es dort zu sehen. Was war damit passiert? Hatte Reg es weggeworfen. Oder in die Zisternenöffnung gefegt?
Minuten später war Andrew in seinem Zimmer, zog seine Khakihose und Turnschuhe an.
»Roddy!«, rief er. »Hey, Roddy!«
Kurz darauf kam sein massiger Zimmernachbar in einem schwarzen Bademantel und Flip-Flops herein.
»Selber hey. Einige von uns müssen hier lernen. Uns stehen die A-Levels bevor.«
»Quatsch. Ich wette fünf Pfund, dass du Toast gefuttert und Comics gelesen hast.«
Roddy lachte. »Erwischt. Aber ich hab Plätzchen gegessen. Ich gebe dir zwei fünfzig.«
»Kannst du mir deine Taschenlampe borgen?«
»Was? Warum?«, fragte Roddy.
»Ich möchte mir ansehen, was da unten ist.«
»Wo unten?«
»In dem Zisternenkeller.«
»In der Zisterne, die du mit unserem besoffenen Hauslehrer gefunden hast? Nein, danke. Mein Dad hat so was einmal bei Renovierungsarbeiten in einem Reihenhaus gefunden. Er meinte, es hätte dort ganz leicht ein Unfall passieren können. Eine echte Gefahrenquelle. Er hat das Ding mit Zement auffüllen lassen.«
»Gut«, sagte Andrew, während er seine Turnschuhe zuband. »Du kannst ja mitkommen und auf mich aufpassen, wenn du willst.«Sie liefen die Treppe hinunter – Roddy noch im Bademantel, aber mit einer Trainingshose darunter –, Andrew ging mit der Taschenlampe in der Hand voran. Diese Taschenlampe war nur ein Beispiel dafür, wie gut Roddy ausgerüstet war: Er hatte extra Toilettenpapier, ein Brotmesser, einen elektrischen Heizofen, Salz und Pfeffer, einen Erste-Hilfe-Kasten und eine Gasmaske aus einem Londoner Militaria-Laden in seinem Schrank. Andrew schaltete die Deckenleuchte an. Roddy machte sie prompt wieder aus.
»Matron wird im Handumdrehen hinter uns her sein«, zischte er. »Sie kann das Treppenhaus von ihrer Wohnung aus sehen. Wir wollen hoffen, dass wir sie nicht aufgeweckt
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