Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Weißes Gift im Nachtexpreß

Weißes Gift im Nachtexpreß

Titel: Weißes Gift im Nachtexpreß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Wolf
Vom Netzwerk:
dämpfte die Stimme, flüsterte fast. Aber
Tim verstand von dem, was nun gesagt wurde, jedes Wort.

13. Kuhhandel durch den Briefschlitz
     
    Irene ahnte, nein, wußte, was auf sie
zukam. Der Besuch des Jungen war nur ein Aufschub gewesen.
    Sie stand hinter der Tür und fühlte
sich nicht unmittelbar bedroht. Trotzdem — ihr Herz hämmerte vor Aufregung.
    „Sie haben vorhin gesagt“, Irene
kauerte und sprach durch den Briefschlitz hinaus, „Sie würden die Tür
eintreten. Versuchen Sie’s doch. Die ist stabil. Und ich habe Telefon. Wenn Sie
mir so kommen, rufe ich die Polizei.“
    „Red kein dummes Zeug, Mädchen. Wir
können doch verhandeln.“
    „Das will ich ja. Es geht nur darum!
Ich brauche Geld. Nur 20 000 Mark — und ich sage Ihnen, wo das Paket ist.“
    „Spinnst du?“
    „20 000! Das ist doch fast nichts für
diesen Wert. Für eine Riesenmenge Heroin. Zehn Pfund sind das, schätze ich.“
    Sie flüsterten. Dann teilte die kalte,
gefühllose Stimme mit: „Mein Kumpel hat 3000 bei sich, ich nur 1800. Mehr läuft
nicht.“
    „Das ist zu wenig. Legen Sie was drauf.
Sie haben doch bestimmt eine wertvolle Uhr. Aus Gold muß sie sein. Haben Sie
einen Ring?“
    Knirschte der Mann mit den Zähnen?
    „Meine Uhr hat 15 000 gekostet. Und...
Na, schön? Du kriegst das Geld und die Uhr. Aber damit genug! Also, wo ist das
Paket?“
    „Erst löhnen!“ verlangte Irene.
    Banknoten — ein dickes Bündel — wurden
durch den Briefschlitz geschoben, dann die Uhr. Ein Schweizer Nobelfabrikat.
Das goldene Gliederarmband fühlte sich noch warm an — körperwarm.
    Für 10 000, schätzte Irene, würde sie
die Uhr verkaufen können. Aber das war ja erst der Anfang vom Coup, eine Art
Fingerübung für das, was sie vorhatte. Denn an diesem Abend warf sie ihr
Gewissen über Bord, war entschlossen, ans große Geld heranzukommen — auch um
den Preis, daß sie aus dieser Bruchbude hier verschwinden mußte für alle Zeit.
Und im übrigen: Was ging sie das an, wenn sich irgendwelche Schlaffis mit
Rauschgift kaputtmachten?
    „Das Paket“, log sie, „liegt in einem
Schließfach am Hauptbahnhof. In Nr. 744. Dort habe ich das Paket reingetan, als
ich von der Arbeit wegging. Ich gebe Ihnen jetzt den Schlüssel raus. Moment!“
    Sie hatte den Schlüssel. Und in 744
befand sich auch tatsächlich ein Paket: fünf Kilo Scheuersand aus dem Besitz
der Bundesbahn. Scheuersand, eingehüllt und umwickelt in die türkische Zeitung.
Eine Zeitung mit Namen Aslanyatagi ( Löwennest ).
    Irene nahm den Schließfachschlüssel aus
der Manteltasche und warf ihn durch den Briefschlitz hinaus.
    Sie hörte, wie er draußen auf den Boden
fiel, und dann noch einmal die Stimme.
    „Wenn du jetzt die Bullen anrufst,
Mädchen, weißt du, was dir passiert. Wir sind eine Organisation. Und lassen
nicht mit uns spaßen. Klar?“
    „Ich bin doch nicht blöd“, erwiderte
sie und überlegte, wieviel Zeit ihr blieb, um aus der Wohnung zu verschwinden —
natürlich unter Mitnahme ihrer wichtigsten Habseligkeiten.
     
    *
     
    Vorsichtig lugte Tim auf die Straße.
    Türke und Blaßgesicht sockten unter
einer Lichtpeitsche durch — eilig in Richtung Hbf, atzelten, ohne sich
umzusehen.
    Tim sprintete zu seinen Freunden, die
hinter der Würstchenbude herumzappelten, unwirsch vor Ungeduld und Langeweile —
besonders Gaby.
    „Hast du dir“, funkelte sie Tim an,
„mit Irene Hansen einen schönen Abend gemacht?“
    „Ich erzähle unterwegs. Jetzt Karacho
zum Bahnhof! Karl, hast du Münzen?“ Tim deutete auf die Telefonzelle. „Ruf
Gabys Vater an. Am besten, er kommt selbst. Es geht um zehn Pfund Heroin.“
    „Heroin?“ fragten seine Freunde
dreistimmig.
    Karl sprang in die Telefonzelle. Tim,
Gaby und Klößchen radelten los. Aber die Ganoven hatten Vorsprung — zuviel, wie
Tim merkte. Er wollte nichts riskieren.
    „Kommt nach. Zu den Schließfächern.
Aber ich muß vor denen da sein. Sonst haben wir das Nachsehen.“
    Er spurtete, schwenkte in eine
Seitenstraße, fuhr dann parallel zum Weg der Verbrecher, überholte, kam vor dem
Hauptbahnhof an, kettete sein Rennrad an ein Eisengitter und rannte hinein
durchs Portal.
    Die Schließfächer befanden sich
neuerdings in einem gesonderten Raum.
    Also dort war Irene Hansen gewesen,
vorhin, als die TKKGler nach ihr suchten.
    Tim kannte sich aus.
    Im Schließfachraum bildeten die
über-mannshohen Stahlkammern Gassen — je zwei Fächer übereinander, die Türen
mit der Nummer versehen, mit Münzschlitz und

Weitere Kostenlose Bücher