Weißes Gift im Nachtexpreß
bedienen konnte, und den Staubsauger, der
verlorene Wertgegenstände aussortierte beim Saugen: goldene Zahnplomben, zum
Beispiel, oder Krawattennadeln.
„Jedenfalls steht das in der
Gebrauchsanweisung“, lachte Erna. „In Wirklichkeit nimmt er nur Staub auf und
Fliegenleichen.“
Es war Abend.
Der Hausherr saß in seinem
Arbeitszimmer, wo er — zigarrerauchend — Geschäftspapiere ordnete mit wachem
Unternehmer-Blick.
Manfred — Elkes Mann — und Sohn Dieter
machten einen Abendspaziergang.
Erna zeigte Elke eine Sammlung alter
Kochbücher.
„Dies hier — von 1650 — ist jetzt
wieder modern. Sozusagen ein Nachkriegs-Kochbuch. Denn der Dreißigjährige Krieg
war ja auch nicht ohne. Wenn ich da nur an den Schwedentrunk denke!“
Elke horchte zur Diele hin. Die Haustür
wurde geschlossen. Kamen ihre — Elkes — ,Männer’ zurück?
Sohn Dieter schob seinen 17jährigen
Blondkopf in die Küche.
Erna lächelte ihm zu und las dann weiter
vor, wie man um 1650 Schweinebauch mit Kohl verdaulich gemacht hatte.
Elke hörte nicht hin. Was war mit
Dieter?
Diese käsige Blässe hatte er sonst nur
bei Grippe. Er starrte seine Mutter beschwörend an, die Augen weit aufgerissen.
Jetzt blinzelte er heftig und zuckte mit dem Kinn. Angstschweiß perlte auf der
Stirn und unter der Nase.
„Sehr interessant, Erna“, sagte Elke.
„Du entschuldigst mich mal, ja?“
„Ich bin im Kaminzimmer“, nickte
Klößchens Mutter und nahm das Kochbuch mit.
Elke folgte ihrem Dieter die Treppe
hinauf zu den Gästezimmern: dem schönen Doppelbett-Raum für die Eltern und der
poppigen Bude, in der Dieter zur Zeit schlief.
Der 17jährige stolperte, fast wäre er
über die Schwelle gefallen. Schweratmend setzte er sich auf sein Bett.
Elke schloß die Tür hinter sich.
„Was ist los, Dieter? Wo ist Papa?“
Langsam sagte der Sohn: „Malchow ist
hier, Emmerich Malchow, der Stasi-Offizier, das Stasi-Schwein, der fette
Malchow, dem Papa seinen Knacks verdankt.“
Elke lauschte den Worten nach, und ihr
Herz war plötzlich in einen Rührmix geraten.
„Ma... Malchow?“
Dieter nickte.
„Das... hier. Ich denke...“, Elke
stammelte. „Man nimmt doch... nimmt doch an, der sei in Südamerika.“
Dieter holte sein Taschentuch hervor
und wischte sich über die Stirn.
„Wir sind die Eichen-Allee
runtergegangen — bis zu dem kleinen Park. Hübsche Laternen dort. Eine Frau kam.
Mit zwei Dackeln und einer Dogge. Die Dogge hieß Ödipus und hat gepinkelt. Und
der eine Dackel hat sich druntergestellt — wie unter eine warme Dusche. Haben
wir gelacht. Dann sind wir weitergegangen und waren im Dunkeln zwischen zwei
Laternen. Da kam der Mann uns entgegen.“
„Der... der Mann?“
„Er war unter einer Laterne. Aber ich
glaube, Papa hätte ihn auch in der Finsternis erkannt.“
Elke schluckte. Ihr Herz hämmerte.
„Groß, fett“, sagte Dieter, „im dicken
Pelzmantel. Echt, Mama, ein richtiger Pelzmantel. Nerz, glaube ich. Sowas gibt’s
hier auch für Männer. Mit einem Spazierstock ging er. Und eine Hand in der
Tasche. Wie damals, als wir meinten, dort habe er seine Pistole, weil er auf
alles gefaßt sein muß, der Dreckskerl.“
„Und?“
„Ich habe ihn sofort erkannt. Und Papa
noch eher. Papa stand ganz still, hat nur gestarrt. Wahrscheinlich ist ihm für
einen Moment das Blut eingefroren.“ Dieter zog fröstelnd die Achseln hoch. „Wir
haben nichts gesagt. Standen nur. Und Malchow kam auf uns zu. Als er an uns
vorbeiging, hat Papa gesprochen. Mit einer Stimme wie aus dem Grab. Er hat
gesagt: ‘n Abend, Herr Malchow.“
„’n Abend, Herr Malchow“, wiederholte
Elke ganz langsam.
„Für den war das sicherlich wie ein
Tritt ins Gekröse. Sofort blieb er stehen. Hat hörbar nach Luft geschnappt.
Dann: Meinen Sie mich? Sie! hat Papa geantwortet. Wen sonst, Malchow? Darauf
der: Sie verwechseln mich. Ich heiße nicht Malchow. Papa: Jetzt vielleicht
nicht mehr. Aber damals. Erkennen Sie meine Stimme, Sie Verbrecher? Ich bin Manfred
Streiwitz, der Lehrer. Malchow sagte: Ich kenne Sie nicht. Offenbar habe ich
einen Doppelgänger. Mein Name ist Landers. Dr. Helmut Landers. Einen angenehmen
Abend wünsche ich. Und damit, Mama, ist er weitergesockt. Aber flott. Weg
wollte er. Am liebsten wäre er gerannt.“
„O Gott! Ojemine! Und was nun?“
Dieter hob wieder die Achseln. „Weiß
nicht, was Papa vorhat. Er ist total aufgewühlt. Wollte allein sein, noch
rumgehen, vielleicht in eine Wirtschaft und ein Bier trinken, um
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