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Weisses Gold

Weisses Gold

Titel: Weisses Gold Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Giles Milton
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schreibt: »Die Wahrheit ist, dass seine Majestät betrunken war, und so würde es wahrscheinlich auch am nächsten Tag und am Tag darauf sein.« Dies wurde vom Arzt des Sultans bestätigt, einem ehemaligen spanischen Sklaven, der erklärte, der Tagesablauf des Sultans bestehe aus einer monotonen Abfolge von Völlerei und Trinkgelagen. »Er trank mit seinen Ministern, bis er umfiel, und dann trugen ihn die Eunuchen zu Bett, wo er sich nach seiner letzten Orgie ausschlief.«
    Während sich Russell bei Hof um eine Audienz bemühte, ergriff Braithwaite die Gelegenheit, den Sklavenpferch zu besuchen. Dieser Ort war »allein wegen seines widerwärtigen Gestanks bemerkenswert«, obwohl sich die Bedingungen seit Mulai Ismails Tod etwas gebessert hatten. Die Bewohner genossen eine gewisse Bewegungsfreiheit, und geschäftstüchtige Renegaten hatten Verkaufsstände errichtet, an denen sie Lebensmittel an jene Sklaven verkauften, denen es gelang, etwas Geld zu erbetteln oder zu stehlen. Dennoch war die tägliche Routine für diemeisten Gefangenen hart, vor allem für jene aus dem Norden Europas. Braithwaite sah »keine bewegenderen Szenen als bei den Niederländern«, denn »diese armen Geschöpfe hatten seit unserer Ankunft in Meknes auf ihre Befreiung gehofft, und Mr. Russell hatte sie darin bestärkt«. Russell hatte tatsächlich geglaubt, ihre Freilassung bewirken zu können, aber seine Bemühungen waren fruchtlos geblieben. »Die Frauen waren untröstlich, und die meisten von ihnen konnten die Verzweiflung kaum ertragen.«
    Am 10. Januar, mehr als fünf Wochen nach Russells erster Begegnung mit dem Sultan, trat in der Palastanlage ein aufgeregter Höfling an ihn heran, der ihm mitteilte, der Sultan wolle ihn unverzüglich sehen. Der Mann sagte dem Konsul, Achmed ed-Dehebi werde schon in wenigen Minuten erscheinen. Russell hatte kaum Zeit gehabt, sich zu sammeln, da flogen auch schon die großen Tore auf. Der Sultan erschien mit einem großen Gewehr in der Hand, flankiert von riesenhaften Leibwächtern, die Piken mit vergoldeten Spitzen trugen. Er blieb vor Russell stehen, murmelte »buono Christiano« und verlangte den Brief des britischen Königs zu sehen. Nachdem er seine Zufriedenheit darüber geäußert hatte, dass sein Name in goldenen Buchstaben geschrieben war, versprach er, keine weiteren britischen Seeleute mehr zu versklaven. Dann bot er Russell mit majestätischer Geste »ein Geschenk von sechs Gefangenen« an und zog sich zurück.
    Der Konsul war freudig überrascht. Nun hatte er doch noch die Ratifizierung des Vertrags aus dem Jahr 1721 erreicht und konnte diesen schrecklichen Ort endlich wieder verlassen. »Wir freuten uns über die Maßen angesichts der Aussicht auf unsere Freiheit«, schreibt Braithwaite, »denn wir hatten uns wie Gefangene gefühlt, und machten uns eilig auf den Heimweg.« Sie brachen unverzüglich nach Tetuan auf, die befreiten Sklaven folgten ihnen einige Tage später. Die beiden Männer ahnten nicht, dass all ihre Bemühungen schon kurz darauf zunichte gemacht werden würden: Eine Reihe blutiger Aufstände fegten den Sultan und bald darauf auch seinen Nachfolger vom Thron, und das folgende Chaos sollte schlimme Folgen für Thomas Pellow und tausende europäische Sklaven und Renegaten in Marokko haben.

    Thomas Pellow erfuhr etwa einen oder zwei Monate nach seiner Begegnung mit Russell und Braithwaite von den Unruhen. Er war nachAgoory zurückgekehrt, als er hörte, dass sich die schwarze Garde gegen den Sultan erhoben hatte und nunmehr seinen Bruder Abdelmalek unterstützte. »Sie überraschten Mulai ed-Dehebi in seinem eigenen Haus«, schreibt Pellow, »und setzten ihn dort unter strenger Bewachung fest.«
    Der Auslöser für die Meuterei der Garde war ein schockierendes Ereignis im Frühjahr 1728. Die Trunksucht des Sultans sorgte seit Langem für Empörung unter seinen Höflingen, die ihr Bestes taten, um sein Laster vor der Bevölkerung zu verbergen. Dennoch wurden die Bewohner von Meknes unvermeidlich zu Zeugen seiner Ausschweifungen. »An einem Freitag kam er derart betrunken zum Gebet in die Moschee, dass er, als er sich nach dem Brauch der Mohammedaner zu Boden warf, seinen Wein erbrach.« Die versammelte Menschenmenge war entsetzt, und der Sultan musste sich in den Palast zurückziehen, wo er wilde Beschimpfungen durch seine Frauen über sich ergehen lassen musste. John Russell schickte unverzüglich einen Bericht über den Zwischenfall nach London, in dem es hieß, diese

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