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Weisses Gold

Weisses Gold

Titel: Weisses Gold Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Giles Milton
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noch im Bau, und überall wimmelte es von zerlumpten, halbverhungerten Menschen, die an unzähligen halbfertigen Mauern und Türmen arbeiteten.
    Die Gefangenen wurden durch ein weiteres zeremonielles Tor geführt und fanden sich auf einem weitläufigen Prozessionsplatz wieder. Hier pflegten die Angehörigen der schwarzen Leibwache des Sultans im Schatten eines exquisiten gekachelten Pavillons zu exerzieren, zu trainieren und sich mit ihren Waffen zu üben. Und hier sah sich Mulai Ismail die Turniere und Vorführungen an, bei denen seine besten Reiter in mit Edelsteinen besetzten Kostümen Wettkämpfe austrugen und in gestrecktem Galopp auf Ziele schossen.
    Kapitän Pellow und seine Männer wurden angewiesen, sich in einer Reihe in der Sonne aufzustellen und auf den Sultan zu warten. Sie hatten schon viele Gerüchte über Mulai Ismail gehört, doch nichts von alledem hätte sie auf ihre erste Begegnung mit diesem Mann vorbereiten können. Der selbsternannte Emir (Fürst) der Gläubigen war eine außergewöhnliche Erscheinung, die wenig mit den Darstellungen Mulai Ismails auf späteren europäischen Kupferstichen zu tun hatte. Mit seinem koboldartigen Kinn, seiner Adlernase und seinem spektakulären Zackenbart wirkte er wie ein alttestamentarischer Prophet.
    »Sein Gesicht war oval, seine Wangen eingefallen, seine funkelnden schwarzen Augen lagen tief in ihren Höhlen.« So beschrieb ihn der französische Botschafter Pidou de St. Olon, der dem Sultan um 1690 begegnete. Der französische Besucher fügte hinzu, das spitze Kinn des Sultans wirke im Kontrast zu seinen fleischigen Lippen ziemlich bizarr.
    Zu wichtigen Anlässen legte der Sultan prachtvolle Gewänder aus Seide und Damast an und verwandelte sich in eine strahlende Figur. Er trug gerne einen ausladenden, mit einem glitzernden Juwel befestigten Seidenturban. Sein hüftlanger Mantel war nicht weniger spektakulär,denn er war »mit Silber und Gold durchwirkt«, wie sich der britische Sklave Francis Brooke erinnerte. Am Nacken stand der Mantel offen und gab den Blick auf ein bauschiges Hemd frei, »dessen Ärmel so lang waren, dass sie ein Paar Unterhosen für einen normalen Mann liefern würden«. Dazu trug Mulai Ismail elegante, extravagante Strümpfe, die zu seinen Kniehosen und den grellroten Reitstiefeln passten.
    Es gefiel dem Sultan durchaus, dass er in dem Ruf stand, ein Dandy zu sein, aber er trug nicht immer derart prachtvolle Kleidung. Er war berühmt für seine Sprunghaftigkeit und tauchte gelegentlich in der Kleidung eines armen Mannes auf der Baustelle auf. Als Pidou de St. Odon dem Fürsten erstmals begegnete, wirkte dieser wie einer jener ungepflegten Marabuten, deren Gesellschaft Mulai Ismail so genoss. »Sein Gesicht war von einem schmutzig wirkenden Tuch umhüllt, Arme und Beine waren unbedeckt, und er saß ohne Matte oder Teppich auf dem Boden.« Bei einer anderen Gelegenheit zitierte der Sultan den Botschafter zu einer Audienz in seine Stallungen, und »sein Gewand und sein rechter Arm waren mit dem Blut zweier seiner schwarzen Leibwächter besudelt, die er gerade mit einem Messer geschlachtet hatte«.
    Nur wenigen Ausländern fiel auf, dass die Farbe seiner Kleidung Aufschluss über die Gemütsverfassung und Laune des Sultans gab. Pater Busnot war der Erste, der diesen sonderbaren Zusammenhang bemerkte: »Welche Leidenschaft ihn gerade beseelt, ist an der Farbe seiner Kleidung zu erkennen. Seine Lieblingsfarbe ist Grün, und diese Farbe ist ein gutes Omen für jene, die an ihn herantreten.« Trug er jedoch gelbe Gewänder, so machten sich selbst seine engsten Vertrauten bei Hof auf einen Gewaltausbruch gefasst. »Wenn er Gelb trägt«, schreibt Busnot, »dann erzittern alle Männer und meiden seine Gegenwart; denn diese Farbe wählt er, wenn ihm der Sinn nach einer grausamen Hinrichtung steht.« Die Tatsache, dass Mulai Ismail derart genau auf die Details achtete, ist ein erschreckender Hinweis auf seine Methode der Herrschaft. Er bediente sich der Furcht als Instrument der Kontrolle und hielt seine Höflinge mit von seinen Launen abhängenden Wutausbrüchen und extremen Gewaltexzessen in einem Zustand ständigen Schreckens. Auf die meisten europäischen Besucher wirkten diese Ausbrüche vollkommen willkürlich, aber Busnots Beobachtung deutet darauf hin, dass der Sultan jede seiner Handlungen – jedes Wort, jede Geste, ja sogar die Wahlder Kleiderfarbe – gezielt plante, um die uneingeschränkte Kontrolle über seine oft aufsässigen

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