Weisses Gold
hatte, die er an seinen armen Untertanen und Sklaven begangen hatte, kann ich nicht beurteilen.«
Der Sultan begann jeden Tag mit dem Gebet. Nachdem er seine religiösen Pflichten erfüllt hatte, brach er zu seinem täglichen Rundritt auf, um die Arbeiten an der Palastanlage zu begutachten. Die Baustellen waren über ein so großes Gelände verstreut, dass er sie unmöglich zu Fuß besichtigen konnte. Mulai Ismail bestieg ein Pferd oder fuhr in einer Karosse, die von seinen Frauen und Eunuchen gezogen wurde. Nach Aussage von Thomas Pellow widmete sich der Sultan, während er seine Runde durch den Palastkomplex drehte, den täglichen Regierungsgeschäften. »Er gab Gesandten Audienzen, führte auf einer Mauer sitzend ein Gespräch, ging zeitweise zu Fuß und arbeitete manchmal.«
Mulai Ismail liebte den Pomp und die Zurschaustellung der Macht und genoss die sorgfältig geplanten Rituale des höfischen Lebens. Er wurde von einer Leibwache von 20 bis 30 stattlichen schwarzen Sklaven begleitet. Diese ausgezeichnet ausgebildeten Gardisten trugen blitzende Krummschwerter und hielten stets ihre Schusswaffen gezückt, um einen Anschlag auf den Sultan jederzeit abwehren zu können.
Üblicherweise gingen zwei junge Schwarze hinter dem Sultan, von denen einer einen Sonnenschirm über den Kopf des Fürsten hielt, den er unentwegt drehte, um Fliegen von der geweihten Haut seines Herrn fernzuhalten. Zudem wurde Mulai Ismail von einer Phalanx zeremoniellerWachen begleitet, den
Msakkarim
. Diese Einheit bestand aus Jungen, die zwischen 12 und 15 Jahre alt waren, die Köpfe geschoren hatten und stets weiße Wollgewänder trugen.
Die Höflinge des Sultans wussten aus Erfahrung, dass sie Mulai Ismail stets mit wachsamem Respekt begegnen mussten. Wann immer sie zu einer Audienz zitiert wurden, näherten sie sich ihm scheu und zögernd. »Sie ziehen ihre Schuhe aus«, schreibt Pellow, »und geben sich wie Sklaven, und wenn sie an ihn herantreten, werfen sie sich nieder und küssen den Boden unter den Hufen seines Pferdes.« Wenn seine Kaids vorgeladen waren, während er seine Palastanlage besichtigte, warfen sie sich vor ihm in den Staub. Vor Angst zitternd, verharrten sie reglos in dieser Stellung, bis er außer Sichtweite war.
Die Untergebenen des Sultans hatten allen Grund zu dieser Furcht. Er behandelte seine Kaids und Höflinge mit extremer Geringschätzung. »Er behandelt alle Angehörigen seines Reiches nicht als freie Subjekte, sondern als Sklaven«, schrieb der französische Pater Busno. »Er betrachtet sich als den absoluten Herren über ihr Leben sowie über ihr Vermögen und nimmt sich das Recht, jeden von ihnen zu seinem bloßen Vergnügen zu töten und seiner Ehre zu opfern.«
Auch dieser Morgen hatte mit der üblichen Routine begonnen. Mulai Ismail brach bei Sonnenaufgang zu seiner gewohnten Besichtigungstour auf, und wo immer er hinkam, warfen sich seine Höflinge demütig in den Staub. Doch an diesem Tag erhielt der Sultan während der Inspektion – wahrscheinlich gegen sieben Uhr morgens – die Nachricht von der Ankunft neuer Sklaven. Die Besatzungen der
Francis
, der
George
und der
Southwark
waren eingetroffen. Als Mulai Ismail erfuhr, dass sie auf dem Paradeplatz bei der Mauer der inneren Palastanlage Aufstellung nahmen, machte er sich sofort auf den Weg, um einen Blick auf die Neuankömmlinge zu werfen.
Thomas Pellow und seine Gefährten waren hungrig und verängstigt. Als sie sich vor dem Palast in einer Reihe aufstellten, hatten sie immer noch die schmutzigen Lumpen am Leib, die sie nicht hatten waschen können, seit sie sich schwimmend von den Schiffswracks an Land gerettet hatten. Sie waren vollkommen verängstigt durch die miserable Behandlung, die ihnen bei ihrer Ankunft in Meknes widerfahren war. Nun standen sie barfuß und jeder Würde beraubt da und fürchteten ein sehr viel schlimmeres Schicksal von der Hand des tyrannischen Sultans.
Als man die Gefangenen durch die beiden inneren Tore in die Palastanlage führte, starrten sie fassungslos auf die monumentale Ansammlung vergoldeter Kuppeln, Moscheen und Lusttempel. Der Palast von Meknes war von gewaltigen Befestigungsmauern »von fabelhafter Stärke« umgeben, die nach Einschätzung von Thomas Pellow »zwölf Fuß dick und fünf Stockwerke hoch« waren. Der erste Block von Palastgebäuden war größer als alles, was die Männer je zuvor gesehen hatten, aber sie konnten erkennen, dass sich die Anlage noch weit darüber hinaus erstreckte. Vieles war
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