Weisses Gold
ihnen die Finger in den Mund und in die Ohren. Es war gleichermaßen beängstigend und demütigend, ein Versteigerungsobjekt zu sein, und jeder Sklave erlebte diese Qual anders. George Elliot litt darunter, von den Händlern herumgestoßenzu werden. Er war an einen schwarzen Sklaventreiber gekettet, der ihn »hin- und herzerrte, von einem Bieter zum anderen«. Joseph Pitts entdeckte zu seinem Entsetzen, dass die Händler in Algier ihre menschliche Ware ähnlich anpriesen wie die fahrenden Händler, die in der Heimat auf dem wöchentlichen Gemüsemarkt Zwiebeln und Auberginen feilboten. »›Seht euch diesen starken Mann an! Was für kräftige Gliedmaßen! Er eignet sich für jede Arbeit. Und seht euch diesen hübschen Jungen hier an! Seine Eltern sind zweifellos reich und werden ein hohes Lösegeld für ihn zahlen!‹«
Die meisten Sklavenhändler wollten unbedingt das Gebiss der Gefangenen untersuchen. »Als Erstes schauen sie ihnen in den Mund«, berichtete Okeley, »und ein Satz gesunder, kräftiger Backenzähne erhöht den Preis deutlich.« Dem Interesse an den Zähnen lag ein folgerichtiger, wenn auch bedenklicher Gedankengang zugrunde: »Sie [wissen], dass diejenigen, die keine Zähne haben, nicht essen können; und wer nicht essen kann, kann nicht arbeiten; und wer nicht arbeiten kann, wird die Kosten nicht hereinbringen; und wer die Kosten nicht hereinbringt, ist das Geld nicht wert.«
Hatte sich ein Sklavenhändler einmal davon überzeugt, dass ein in Frage kommender Sklave in guter körperlicher Verfassung war, so machte er ein Angebot. Die Preisunterschiede waren gewaltig und hingen im Wesentlichen vom Alter und von der körperlichen Gesundheit des Versteigerungsobjekts ab. Allerdings spielte auch die familiäre Herkunft eine Rolle, denn viele Händler kauften Sklaven in der Hoffnung, Sprösslinge reicher Familien zu bekommen, mit denen ein hohes Lösegeld zu erzielen war. Browne berichtete, die gewöhnlichen Seeleute von seinem Schiff hätten für 30 bis 35 Pfund den Besitzer gewechselt, während die beiden Jungen »für 40 Pfund das Stück verkauft wurden«. Für ihn selbst wurde nur ein Anfangsgebot von 15 Pfund vorgelegt – »ein sehr niedriger Preis« – obwohl dieser Preis im Verlauf der Versteigerung deutlich stieg: »Mehrere Juden boten 75 Pfund für mich, und dies war auch der Preis, den mein neuer Herr schließlich für mich zahlte.«
Kapitän Pellow und seine Männer mussten befürchten, ein ganz ähnliches Schicksal zu erleiden, denn sie kannten zahlreiche Geschichten von Sklaven, die im Maghreb versteigert worden waren. In den Jahren vor der Kaperung der
Francis
waren zahlreiche Erfahrungsberichte entflohener Sklaven veröffentlicht worden, und viele dieser Publikationenhatten ein starkes Echo gefunden. William Okeley, Thomas Phelps und Joseph Pitts hatten umfangreiche und faszinierende Berichte über ihre Jahre in der Sklaverei veröffentlicht, und in den Hafenkneipen des West Country zirkulierten viele Geschichten von anderen Unglücklichen. Nicht bekannt dürfte den neuen Gefangenen die Tatsache gewesen sein, dass der große Sklavenmarkt in Salé der Vergangenheit angehörte. Während die Versteigerungen in Algier, Tunis und Tripolis ein fester Bestandteil des Wirtschaftslebens blieben, hatte sich die Funktion des Marktes in Salé seit der Thronbesteigung von Mulai Ismail vollkommen verändert. Eine der ersten Maßnahmen des neuen Sultans hatte darin bestanden, den Sklavenmarkt vollkommen zu schließen. Der Grund dafür war jedoch weder Wohltätigkeit noch Menschenliebe – Mulai Ismail wollte einfach alle Sklaven für sich behalten. Alle in jüngster Zeit verschleppten Männer, Frauen und Kinder wurden von Salé nach Meknes gebracht, wo sie ihrem neuen Besitzer mit angemessenem Pomp übergeben wurden.
Und genau das geschah auch mit den überlebenden Gefangenen von der
Francis
, der
George
und der
Southwark
. Nachdem sie vier elende Tage in den unterirdischen Verliesen von Salé verbracht hatten, wurden die insgesamt 52 Männer aus den Zellen geholt und als Gefangene nach Meknes geschickt. Die Männer fürchteten sich vor dem langen Marsch, da viele von ihnen ihre Schuhe verloren hatten und nur noch Fetzen am Leib trugen. Aber auf dem 120 Meilen langen Marsch in die Hauptstadt des Sultanats wurde ihnen eine ungewöhnlich gute Behandlung zuteil. Einige von ihnen wurden auf Maultiere gesetzt, berichtet Thomas Pellow, »andere ritten auf Eseln und einige auf Pferden«. »Mein Onkel und
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