Weisses Gold
Sklavenpferche rasch, aber schon kurze Zeit später hatten sich die Reihen der Gefangenen wieder gelichtet, da sie scharenweise an Krankheiten und Entkräftung starben. Die Pest war ein regelmäßiger Besucher des Sklavenpferchs und raffte die bereits durch die Ruhr und die Unterernährung geschwächten Männer reihenweise dahin. Mouette schreibt, dass in einem besonders schlimmen Jahr jeder vierte französische Sklave der Pest zum Opfer fiel; es gab kaum etwas, was man gegen die hohe Sterberate hätte tun können. »Wir beteten zu jener Zeit doppelt so oft wie sonst und acht Tage lang den gesamten Rosenkranz anstatt wie bis dahin den dritten Teil davon.«
Die Verluste infolge von Krankheiten und Erschöpfung waren so hoch, dass sogar Mulai Ismail begann, sich ernste Sorgen zu machen. Er fragte seine Kaids um Rat, die ihm antworteten, es gebe einen guten Grund für die hohe Sterblichkeitsrate. In den Heimatländern der Sklaven, so erklärtensie, würden die Christen »durch das Trinken von Wein und Weinbrand sehr gestärkt«. Wolle Mulai Ismail die Zahl der Todesfälle senken und die Arbeitsleistung seiner Sklaven erhöhen, so müsse er »lediglich jedem von ihnen drei oder vier Glas Wein am Tag zuteilen lassen«.
Der Sultan folgte dem Rat seiner Kaids. »Er schickte nach dem Vorsteher der Juden und befahl ihm, vier große Fässer Wein zu bringen … und an die Gefangenen zu verteilen.« Als er am selben Tag auf die Baustelle zurückkehrte, »sah er zu seiner Verblüffung, dass die Christen in zwei Stunden mehr geleistet hatten … als an drei Vierteln des Vortages«. Daraufhin wies er die Juden an, die christlichen Sklaven von nun an mit »einhundert Pfund Rosinen und derselben Menge Feigen zu versorgen, damit sie sich Weinbrand machen können«. Er gab sogar die Erlaubnis zur Einrichtung einer behelfsmäßigen Taverne im Sklavenpferch, obwohl ihm mit einiger Sicherheit entging, welche Ironie darin lag, kranke und sterbende Männer mit Eau de Vie zu versorgen.
Kapitän Pellow und die Mitglieder seiner Besatzung litten weiter an Krankheiten und Unterernährung, doch sie stellten bald fest, dass der Mangel an Nahrung nicht ihre schlimmste Geißel war. Die eigentliche Quelle allen Übels, die ihnen Grund zu endlosen Klagen gab, war die quälende tägliche Routine. Sie verbrachten Tag für Tag bis zu 15 Stunden auf der Baustelle des Palastes von Meknes, und dort lernten die Männer den wahren Schrecken des Lebens als Sklaven des Sultans Mulai Ismail kennen.
Als Mulai Ismail den Thron bestiegen hatte, war Meknes nur ein Marktflecken in der Provinz gewesen. Es war nie eine Königsstadt gewesen wie die großartigen Städte Fes, Rabat und Marrakesch, und es blickte auch nicht auf eine glorreiche Geschichte zurück. Und genau das machte seinen Reiz für den neuen Sultan aus. Mulai Ismail hatte eine klare Vorstellung von dem Platz, den er in der Geschichte einnehmen wollte, und er gedachte als Gründer einer Dynastie in Erinnerung zu bleiben, deren Hauptstadt alle anderen an Größe und Pracht in den Schatten stellte.
Bald nachdem er sich den Thron gesichert hatte, nahm er sein monumentales Bauprogramm in Angriff. »Er ließ die an die Kasbah angrenzenden Häuser abreißen«, schrieb Achmed es-Sajjani, »und ließ die Bewohner den Schutt wegräumen.« Danach befahl er, den gesamten Ostteil der Stadt schleifen zu lassen. Doch der Sultan war noch immer nicht mitden Ausmaßen der Anlage zufrieden und ließ viele weitere Gebäude abreißen.
Die außergewöhnliche Ansammlung von Festungsanlagen und Palästen, die sich nun aus den Trümmern der Stadt erhob, war von derart gewaltigen Ausmaßen, dass sie jeden Besucher in Erstaunen versetzte. Allein die Palastmauern würden viele Meilen lang sein, denn Mulai Ismail schwebte eine Anlage vor, in der sich die zahlreichen miteinander verbundenen Paläste und Kammern in einer scheinbar endlosen Abfolge über die umliegenden Hügel und Täler erstrecken würden. Dazwischen sollten weitläufige Höfe und Säulengänge, mit grünen Dachziegeln gedeckte Moscheen und Lustgärten liegen. Er ließ einen riesigen maurischen Harem sowie Stallungen und Rüstkammern, Brunnen, Wasserbecken und Zierbauten errichten. Er wies seine Ingenieure an, die nahe gelegenen römischen Ruinen von Volubilis zu plündern, um Marmorsäulen und behauene Steinplatten für seine Bauvorhaben zu beschaffen. Und er ließ die wertvollsten Verzierungen und Karrenladungen von Marmorsäulen und exquisitem Jaspis aus
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