Weisses Gold
dem einst prachtvollen al-Badi-Palast in Marrakesch herbeischaffen. Andere wertvolle Steine wurden eigens aus Pisa und Genua importiert.
Spätere Besucher von Meknes erklärten, Mulai Ismail sei von dem Wunsch besessen gewesen, einen Palast zu bauen, der das von Ludwig XIV. in Versailles errichtete Schloss in den Schatten stellen sollte. Die beiden Monarchen, die Zeitgenossen waren, hatten zweifellos einige Gemeinsamkeiten. Beide beaufsichtigten persönlich die Bauarbeiten an ihren Palastanlagen und behandelten ihre Arbeiter mit Verachtung. Doch Meknes war bereits im Bau, als Mulai Ismail vom Glanz der Anlage in Versailles erfuhr, und sein weitläufiger Komplex maurischer Lustpaläste unterschied sich grundlegend von Versailles.
Dennoch erklärte der französische Pater Nolasque Neant, der Sultan habe tatsächlich den Wunsch geäußert, den Sonnenkönig in allem zu übertreffen. Ein europäischer Besucher an Mulai Ismails Hof ging so weit, dem Sultan zu sagen, wenn er den König von Frankreich nachahmen wolle, dürfe er seine Untertanen und Sklaven nicht in seiner Gegenwart töten lassen. »Das ist wahr«, erwiderte der Sultan, »aber König Ludwig befehligt Männer, während ich Tiere befehlige.« Diese »Tiere« wurden gezwungen, an Mulai Ismails ewigem Projekt zu arbeiten, Mauern zu errichten, Mörtel zu mischen und Steinplatten zu schleppen. Obwohldem Sultan tausende Zwangsarbeiter zur Verfügung standen, hatte er stets zu wenige Arbeitskräfte und sah sich gezwungen, ein Dekret zu erlassen, mit dem er jeden Stamm in seinem Sultanat verpflichtete, eine bestimmte Zahl von Männern und Mauleseln für die Arbeiten in Meknes zu stellen.
Der erste Palast, der fertig gestellt wurde, war der Dar Kbira. Er wurde nach einer Bauzeit von drei Jahren im Jahr 1677 mit einer spektakulären nächtlichen Feier eingeweiht, an der sämtliche Kaids und Wesire des Sultans teilnahmen. Um Mitternacht schlachtete Mulai Ismail mit eigenen Händen am Haupttor einen Wolf. Der Kopf des Tieres wurde abgehackt und in das Tor eingebaut.
Die Dimensionen von Dar Kbira waren beispiellos. »[Der Palast] stellt eine großartige Begrenzung der Stadt gen Norden dar«, schrieb Pater Busnot im Jahr 1714, »mit seiner gewaltigen Weitläufigkeit, den stolzen, strahlend weißen Mauern, den ebenso zahlreichen wie hohen Türmen.« Auch die ersten Gärten hatten gigantische Ausmaße. Mulai Ismail ließ seine Sklaven ausgewachsene Bäume »von außerordentlicher Größe« in die Gartenanlage bringen, um Dar Kbira zu schmücken, und begann mit der Planung eines hängenden Gartens, der den Anlagen im sagenhaften Babylon nachempfunden sein sollte.
Der Dar Kbira-Palast war riesig, doch Mulai Ismail sah darin lediglich den ersten von einer Reihe ähnlicher Prunkbauten. Im Südwesten seiner Privatresidenz legte er den Grundstein für eine ausufernde Stadt der Vergnügungen, das Dar el Machsen, das nicht weniger als 50 Paläste umfassen sollte, zu denen jeweils eine Moschee und ein eigenes Badehaus gehören sollten. Dieser weitläufige Gebäudekomplex sollte von drei Verteidigungsmauern umgeben sein, wobei der äußere Ring von mit Zinnen versehenen Türmen geschützt sein sollte. Das dort geplante Lagerhaus – das
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– sollte groß genug sein, um die gesamte Jahresernte des Königreichs aufzunehmen. Mulai Ismail befahl auch den Bau eines riesigen Wasserspeichers und eines Sees, auf dem Bootsfahrten möglich sein sollten. Die Ställe wurden für bis zu 12 000 Pferde angelegt.
Der Sultan ließ sich von den Ausmaßen seines kolossalen Projekts nicht schrecken und begann, Pläne für ein riesiges diplomatisches Viertel zu entwerfen, das Madinat el-Rijad. Dort sollten seine Wesire und Offiziere residieren. Zudem begann er mit dem Bau von Unterkünften für seine 130 000 schwarzafrikanischen Soldaten. Doch das großartigstealler Vorhaben war der Dar-al-Mansur-Palast, der über 50 Meter hoch und von 20 Pavillons mit grünen Ziegeldächern gekrönt sein sollte.
Mulai Ismail selbst war der federführende Architekt, Ingenieur und Berater des Bauprojekts. Er erschien jeden Morgen vor Sonnenaufgang auf der Baustelle und gab die Anweisungen für die Arbeiten des Tages. Er instruierte die Sklaventreiber und beobachtete zufrieden, wie sie auf die Arbeiter einprügelten, um das Letzte aus ihnen herauszuholen. »Der Sultan Mulai Ismail machte sich die Mühe, die Errichtung seiner Paläste selbst zu überwachen«, schrieb Achmed es-Sajjani. »Sobald ein Gebäude fertig
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