Weisses Gold
den Bei von Tunis –, und die Mönche im Kloster erhielten hin und wieder die Erlaubnis, religiöse Feiernabzuhalten. Besonders farbenfroh war das Fronleichnamsfest: Die Geistlichen bestochen die Sklavenwärter, damit diese allen katholischen Sklaven erlaubten, an der Feier teilzunehmen. Im Frühjahr 1719 zählte Pater Francisco Silvestre zu den Organisatoren des Fests. »An diesem Tag«, schrieb er, »sind die Mauern des Hofs des
sagena
[des Sklavenpferchs], wo die Prozession beginnt, mit grünen Halmen geschmückt.« Die Bögen wurden mit Kräutern und Blumen bedeckt, und jeder Sklave erhielt eine Kerze. »Ein Geistlicher führt … [und] alle gehen los, wobei sie Loblieder singen, die dem Tag angemessen sind.« Dies war eine der wenigen Gelegenheiten im Lauf eines Jahres, bei denen die katholischen Sklaven für kurze Zeit ihr Elend vergessen konnten.
Doch Mulai Ismail erlaubte solche Feste nicht immer. Ein Sklave, der um die Erlaubnis bat, das Fest des heiligen Johannes des Täufers feiern zu dürfen, erhielt 500 Schläge auf die Fußsohlen. Und besonders wenig Entgegenkommen zeigte der Sultan gegenüber den britischen und amerikanischen Gefangenen. »Einige von ihnen hatten darum gebeten, ihnen frei zu geben, damit sie das Osterfest feiern konnten«, schreibt Pater Busnot, »denn zehn Tage zuvor hatte er den katholischen Sklaven aus Frankreich eine solche Erlaubnis erteilt.« Der Sultan dachte einen Augenblick nach und fragte anschließend, ob sie gefastet hätten. Als sie die Köpfe schüttelten, sagte er: »Wo keine … Fastenzeit ist, da ist kein Ostern, und so schickte er sie zurück an die Arbeit.« Seine Feststellung war von charakteristischer Grausamkeit, obwohl sie durchaus konsequent war.
Thomas Pellow hatte sich in den fünf Jahren, seit er Penryn verlassen hatte, derart verändert, dass ihn seine Eltern und Schwestern kaum noch erkannt hätten. Er war nun kein Kind mehr, was ein spärlicher Bart bezeugte. Er trug einen langen Dschellaba mit spitzer Haube und hatte eine neue Sprache erlernt. In der Heimat war er ein unwilliger Schüler gewesen, aber nun fiel es ihm dank seiner raschen Auffassungsgabe leicht, Arabisch zu lernen. Wenn er noch viele Jahre in dem Land blieb, würde er diese Sprache eines Tages wahrscheinlich besser beherrschen als die seines Geburtslandes.
Pellow hatte in seinem jungen Leben sehr viel mehr erlebt als die meisten Menschen seines Alters. Er hatte entsetzliches Leid gesehen und war von seinem mittlerweile toten Herrn geschlagen und gefoltert worden.Er war gegen seinen Willen verheiratet und zur Aufgabe seiner Religion gezwungen worden. Dabei hatte er die ebenso schmerzhafte wie erniedrigende Erfahrung einer öffentlichen Beschneidung gemacht. All diese Erlebnisse hatten ihn in einen tapferen jungen Mann verwandelt, der unter den übrigen Renegaten hohes Ansehen genoss, nicht zuletzt, weil er es gewagt hatte, dem Sultan den Zutritt zu dessen Harem zu verwehren.
Irgendwann im Jahr 1720 (es gibt keine genaue Datumsangabe) erhielt Pellow unerwartete Nachrichten. Mulai Ismail hatte angeordnet, 600 Apostaten zur Bewachung von Kasbah Temsna abzustellen, einem etwa 200 Meilen südwestlich von Meknes gelegenen befestigten Lager. Pellow sollte zu den Kapitänen der Truppe zählen, bei der es sich um eine bunte Sammlung ehemaliger Sklaven aus Frankreich, Spanien und Portugal handelte, zu denen noch Männer aus verschiedenen italienischen Stadtstaaten kamen.
Pellow war erfreut über diese Wendung seines Schicksals, denn er wünschte sich nichts sehnlicher, als die Hauptstadt zu verlassen. Er lebte in ständiger Angst vor der Launenhaftigkeit des Sultans, und er litt sehr darunter, täglich Zeuge von Morden und Folterungen zu werden. Auf der anderen Seite würde auch sein neuer Posten mit beträchtlichen Gefahren verbunden sein. Mulai Ismail setzte seit langem europäische Renegaten in seinen Feldzügen ein und ließ sie im Kampf mit rebellischen Stammesfürsten oft an vorderster Front kämpfen. »Er nimmt sie mit auf das Schlachtfeld«, schreibt Pidou de St. Olon, »und stellt sie in den Gefechten stets in die erste Reihe, wo er sie in Stücke haut, wenn sie die geringste Neigung zeigen, vor dem Feind zurückzuweichen.«
Pellow und seine Männer hatten nur eine oberflächliche Kampfausbildung erhalten, als sie den Marschbefehl erhielten. Eine unordentliche, aber gut bewaffnete Truppe versammelte sich zu Pferd vor dem Stadttor von Meknes. Die Frauen begleiteten sie auf Mauleseln,
Weitere Kostenlose Bücher