Weisses Gold
sprang und nach seiner Lanze griff, die einer seiner Leibwächter gehalten hatte. Als er wieder zu Atem gekommen war, bat er den Botschafter feierlich, näher zu treten. »Wir stellten uns in Reih und Glied auf«, schreibt Windus, »und verbeugten uns tief, während wir uns dem König näherten, der mit dem Kopf nickte und mehrmals
bono
sagte.«
Windus studierte Mulai Ismail genau. Er war fasziniert von der persönlichen Begegnung mit diesem außergewöhnlichen Menschen. Er schätzte das Alter des Sultans auf 87 Jahre – tatsächlich war Mulai Ismail 75 Jahre alt – und stellte fest, dass die Zeichen der Zeit nicht mehr zu übersehen waren: »Er hat alle Zähne verloren und atmet kurz, als wären seine Lungen schlecht; er hustet und spuckt sehr oft.« Der Speichel des Sultans durfte nicht zu Boden fallen, weshalb »immer Männer mit Taschentüchern bereitstanden, um ihn aufzufangen«.
Seine Adlernase, die einst so erhaben gewirkt hatte, wurde nunmehr durch hohle Wangen hervorgehoben, und sein langer Bart war mittlerweile sehr spärlich. »Seine Augen scheinen einst gefunkelt zu haben, aber ihre Kraft ist mit dem Alter geschwunden, und seine Wangen sind sehr eingefallen.« Dennoch bot der Sultan immer noch ein beeindruckendes Bild, wie er da in aller Pracht auf einem rabenschwarzen Hengst saß, umgeben von Dienern, die ihm Luft zufächelten. »Seine Neger schwenken unentwegt die Fächer und verscheuchen mit Tüchern die Fliegen von seinem Pferd, und der Schirm dreht sich ständig über seinem Kopf.« Der Sklave, der die Aufgabe hatte, diesen Baumwollschirm zu halten, achtete genau darauf, jede Bewegung seines Herrn mitzumachen, damit nicht ein einziger Sonnenstrahl auf die heilige Haut des Sultans fiel. Diese Sorgfalt war auch angebracht, denn so manchen Sklaven hatte es den Kopf gekostet, weil er seine Pflichten nicht zur Zufriedenheit des Sultans erfüllt hatte.
Über eines jedoch war Windus ein wenig enttäuscht: Der Sultan hatte seinem äußeren Erscheinungsbild kaum Beachtung geschenkt. Er war ähnlich gekleidet wie seine Höflinge; die einzigen Dinge, die ihn hervorhoben, waren sein mit Juwelen besetztes Krummschwert, die mit Bommeln und Bändern geschmückte Satteldecke und der vergoldete und mit Smaragden besetzte Sattel.
Stewart wahrte auch in Gegenwart Mulai Ismails die Contenance. Er spielte seine Rolle als Botschafter mit großer Gelassenheit, murmelte höfliche Floskeln, wann immer es angemessen war, wahrte dabei jedoch eine freundliche Bestimmtheit. »Er überreichte dem Sultan den in einem Seidentuch eingeschlagenen Brief seiner Majestät« und teilte Mulai Ismail mit fester Stimme mit, er sei von seiner britannischen Majestät König Georg I. entsandt worden, »um Frieden und Freundschaft zwischen den beiden Kronen zu schließen und eine gute Verständigung zwischen ihnen zu ermöglichen«. Und ohne jede Ironie fügte er hinzu, er hoffe, der Sultan werde die kostbaren Geschenke annehmen, die man ihm mitgebracht habe.
Mulai Ismail hatte die Gewohnheit, bei Begegnungen mit ausländischen Gesandten das Gespräch mit einem langen Vortrag über den Islam zu eröffnen. Aber bei dieser Gelegenheit grinste er Stewart nur an und teilte ihm mit, »er könne alles haben, weswegen er gekommen sei, denn er liebe die Engländer«. Daraufhin forderte Stewart den Sultan auf, seine britischen Sklaven freizulassen, da dies als »überzeugender Beweis für seine Wertschätzung der englischen Nation« genügen werde.
Stewart versuchte auch, Mulai Ismail klarzumachen, dass die britische Flotte an Stärke gewann, aber der Sultan war nicht in der Laune ihm zuzuhören. »Es war sehr schwierig, den König dazu zu bewegen, sich mit Geduld anzuhören, was der Botschafter zu sagen hatte«, schreibt Windus, »denn es gefiel ihm sehr, selbst zu reden«. Stewart unterbrach den Sultan mehrfach mit der Aufforderung, seine Unterschrift unter das in Tetuan aufgesetzte Abkommen zu setzen. Mulai Ismail antwortete, das sei nicht notwendig, denn »sein Wort habe ebenso Gültigkeit wie seine Schrift«. Aber Stewart ließ nicht locker, und schließlich gab der Sultan nach und bekräftigte seine Unterschrift, indem er dem Botschafter »neun Christen zum Geschenk machte«.
Zu der Zeit, als Stewart seine Audienz bei Mulai Ismail erhielt, befand sich auch Thomas Pellow am Hof, und es ist durchaus möglich, dass eraus Kasbah Temsna nach Meknes zitiert worden war, um als Dolmetscher zu fungieren. Pellow war mittlerweile etwa 16 Jahre alt
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