Weißes Leuchten (Detective Dave Robicheaux) (German Edition)
Kontrast dazu wirkten die Männer hier drinnen wie luftgetrocknet, mit Haut von der Farbe alter Pappe, so ausgezehrt, daß sie nahezu schwerelos zu sein schienen. In der eingefallenen Brust dieser Männer war kein Herzschlag zu spüren, und die Haut ihrer Arme saß so straff wie Fischschuppen auf den Knochen. Ihre militärisch aufgereihten Feldbetten, die beim augenblicklichen Sonnenstand keine Schatten warfen, wirkten so penibel wie eine Reihe von Särgen.
Warum stimmte mich dieser Haufen von Pennern und Trinkern so morbide? Weil sie mein allgegenwärtiges Bewußtsein noch verstärkten, daß mich nur ein Glas von ihrem Schicksal trennte – Verzweiflung, das langsame Absterben der Seele, Wahnsinn, Tod –, und das vor Augen geführt zu bekommen, versetzte mir einen ziemlichen Stich.
Der Mann von der Heilsarmee und ich traten aus dem Schlafsaal wieder hinaus in die Sonne, in den kühlen Wind, der reinigend durch die Eichen und Myrtensträucher und einen kreisenden Wassersprenkler auf dem Rasen hindurchblies.
»Wie würden Sie denn diesen typischen Geruch beschreiben, den die Männer alle haben?« fragte ich.
»Wie bitte?«
»Dieser Geruch. Sie haben ihn alle. Wie würden Sie den beschreiben?«
»Ach so. Das kommt von diesem gräßlichen Weinverschnitt, den sie trinken. Das Zeug ist grad mal eine Stufe über Terpentin.«
»Als hätten sie aufgelöste Mottenkugeln im Blut, stimmt’s?« sagte ich.
»Ja, doch, so in der Art.«
»Oder vielleicht Einbalsamierungsflüssigkeit?«
Er kratzte sich mit dem Fingernagel an einer Kotelette.
»Mit Leichenbestattung hatte ich nie was zu tun«, sagte er, »aber ja, das kommt so ziemlich hin. Yeah, manche der alten Knaben sind praktisch schon tot und wissen es nur nicht. Arme Burschen.«
Er verstand nicht, worauf meine Fragen abzielten, und ich erklärte es ihm nicht. Ich gab ihm nur meine Geschäftskarte und sagte: »Rufen Sie mich doch an, wenn Vic wieder auftaucht. Aber lassen Sie ihn in Ruhe. Ich glaube, daß Sie Ihr Instinkt nicht täuscht, was ihn angeht. Er ist wahrscheinlich geistesgestört und gefährlich.«
»Was hat er angestellt?«
»Ich glaube, darüber können nur Vic Benson und der liebe Gott Rechenschaft ablegen. Ich geh’ mal davon aus, daß wir übrigen es gar nicht wissen wollen. Er ist einer von denen, die uns glauben machen, daß wir doch nicht alle Äpfel vom selben Stamm sind.«
»Es hat was mit Kindern zu tun, oder?«
»Woher wissen Sie das?«
»Einer unserer Stammgäste hat mir erzählt, daß Vic einem kleinen schwarzen Jungen, der ihn irgendwie belästigte, eine brennende Zigarette ins Gesicht geschnippt hat. Ich habe das irgendwie verdrängt, weil ich es nicht glauben mochte.«
Einen kurzen Augenblick lang zog ein trauriger Ausdruck über sein Gesicht, dann gab er mir die Hand und ging über den nassen, schimmernden Rasen zurück in den düsteren Schlafsaal.
Ich ging wieder zurück ins Büro. Eigentlich hatte ich vorgehabt, Lyle Sonnier in Baton Rouge anzurufen, um ihn zu fragen, ob er eine Idee hatte, wo sein Vater abgeblieben war. Aber als ich zum Hörer griff, warf ich einen Blick aus dem Fenster und sah Cletus Purcel. Er parkte seinen Wagen im Halteverbot, stieg aus und streckte die Arme wie ein Bär, der aus dem Winterschlaf erwacht. Aus einem der hinteren Fenster ragten zwei Angelruten. Ich wartete gar nicht erst ab, bis er hochkam. Im günstigsten Fall hielten meine Kollegen Clete für ein glückliches Tier aus dem Zoo; andere machten es sich zur Gewohnheit, sich in Luft aufzulösen, sobald er den Raum betrat.
Ich fing ihn draußen auf dem Bürgersteig ab.
»Was liegt an, Dave?« sagte er. »Hast du schon zu Mittag gegessen?«
»Nein.«
»Komm, wir pfeifen ein paar rote Bohnen und Reis ein, und wenn du Dienstschluß hast, gehen wir ein paar Würmer ertränken.«
Er trug ein ärmelloses Hemd mit Tropenmuster, Budweisershorts, die tief unterhalb seines Nabels hingen, und schief über einem Auge in die Stirn gezogen den charakteristischen ultramarinblauen Porkpie-Hut. Die gewaltigen Oberarme waren knallrot vom Sonnenbrand.
»Wir gehen heute abend Krabben essen nach Cypremore Point. Du kannst dich uns gern anschließen«, sagte ich.
Er machte ein enttäuschtes Gesicht.
»Okay«, sagte er. »Ich hatte nur gedacht, daß ich heute vielleicht noch ein bißchen zum Angeln komme. Egal, laß uns was essen, dann kann ich dir erzählen, was ich über Joey Gouza und die Große Weiße Hoffnung noch so rausgefunden habe.«
Wir fuhren die
Weitere Kostenlose Bücher