Weisst du eigentlich, dass du mir das Herz gebrochen hast

mehr empfunden hatte, machte sich wieder in mir breit.
    Es war keine Traurigkeit. Und auch keine Einsamkeit. Es war Wut.
    »Also, was ist?«, fragte Patrick.
    Ich schaute diesem Engel in seiner abgewetzten Jacke in die Augen, und zum ersten Mal schenkte nun ich ihm ein kleines bösartiges Grinsen.
    »Der kann was erleben!«

10
    yeah I’m free, free fallin’

    »Hey, Raclette, du kannst die Augen jetzt aufmachen.«
    »Weißt du was? Ich glaube, ich lasse sie lieber zu.«
    »Komm schon«, sagte Patrick. »Die Aussicht hier ist der absolute Wahnsinn. Schau da runter.«
    »Ich bin mir ziemlich sicher, dass der Satz korrekt lautet: Schau nicht runter.«
    »Keine Angst.« Er lachte. »Ich bin ja bei dir. Ich lass dich schon nicht los.«
    Obwohl Patrick versuchte, mich zu beruhigen, traute ich mich nicht, die Augen aufzumachen. Wie er mir erklärt hatte, gab es nur einen einzigen Weg, auf die lebende, atmende Erde zurückzukehren: Man musste zurück fallen . Von irgendeinem sehr, sehr hohen Punkt aus. Und da waren wir jetzt.
    »Vielen Dank«, sagte ich. »Das hilft mir ungemein. Oder auch nicht.«
    »Findest du nicht, dass du ein klein bisschen übertreibst?«
    »Findest du nicht, dass diese Jacke ein klein bisschen altmodisch ist?«
    »Komm schon, warst du nicht so etwas wie eine Weltklassesportlerin?« Er kicherte. »Stell dir einfach vor, das hier ist ein besonders hohes Sprungbrett.«
    Ich stieß ein hysterisches Lachen aus. »Ja, klar. Das ist doch wohl etwas völlig anderes!« Aber trotz meiner Angst war ich neugierig. Ich holte also tief Luft, während mir der Wind wild an den Haaren riss, und öffnete die Augen. Doch was ich sah, ließ mich beinahe in Ohnmacht fallen.
    Wir befanden uns auf der Spitze der Welt.
    Irgendwie war Patrick mit mir in Sekundenschnelle hoch in die Wolken, bis zum höchsten Punkt der Golden Gate Bridge geflitzt – auf den höchsten Punkt des Nordpfeilers, über zweihundert Meter über dem aufgewühlten, wogenden Pazifik. Hinter der Bucht ging gerade die Sonne unter, und über den sanften Hügeln vermischte sich das goldene Licht mit diffusen lavendelfarbenen Streifen. Eine dichte Nebeldecke zog über die Bucht, und am Horizont sah ich das Lichtermeer von San Francisco schimmern, das wie ein magischer Spielplatz funkelte, während am Himmel wie kleine Pünktchen die ersten Sterne auftauchten.
    »Oh. Mein. Gott. «
    »Ja, allerdings.«
    »Das ist einfach … unglaublich. «
    Patrick lächelte. »Ich hab’s dir doch gesagt.«
    Genau in diesem Augenblick fiel das Licht auf sein Gesicht, und für den Bruchteil einer Sekunde wurden seine Augen golden, entflammt vom kalifornischen Sonnenuntergang.
    Okay, ich geb’s zu. Patrick war süß. Nicht strubbelig-kuschelig-süß wie Jakob. Eher ein bisschen Bürstenschnitt-süß, ein bisschen James-Dean-süß, ein bisschen süß im Sinne von »I don’t have to try«.
    Er machte einen Schritt nach vorne an die Kante und beugte die Knie, als wollte er gleich in einem Schwalbenschwung in die Tiefe tauchen. »Soll ich?«
    »Gott!« Ich packte ihn an der Jacke und zog ihn zurück. »Darüber macht man keine Witze!«
    »Bitte«, er grinste, »sag Patrick zu mir.«
    Ich schüttelte fassungslos den Kopf und stöhnte genervt. »Mann, langsam glaube ich wirklich, dass mein kleiner Bruder reifer ist als du. Und der ist acht. «
    »Acht ist mehr, als mir sonst zugetraut wird. Also komm schon, bist du bereit?«
    Ich ignorierte ihn. Es war mir egal, wie süß er war oder wie schön seine dämlichen Augen in dem bescheuerten Sonnenlicht funkelten. Ich würde niemals, weder im Himmel noch in der Hölle oder wo auch immer wir uns hier befanden, von dieser Brücke springen.
    NIEMALS .
    »Wie in aller Welt sind wir überhaupt hier raufgekommen?«, fragte ich und sah mich nach einem alternativen Weg nach unten um.
    »Wir haben uns gebeamt.«
    »Gebeamt?« Ich starrte ihn wütend an. »Wo sind wir denn hier, in einem Pixar-Film?«
    »Okay, ich glaube, da hat jemand als Kind eindeutig zu viele Disneyfilme geschaut.«
    »Zu viel Disney geht überhaupt nicht«, gab ich murrend zurück, während ich mich bemühte, nicht in Ohnmacht zu fallen oder mich zu übergeben oder beides gleichzeitig. Es war schrecklich. Ich spürte das Rumpeln und Vibrieren der Brücke unter mir, und meine Zähne begannen zu klappern.
    Ächzender Stahl, gigantische Aufhängungskabel und Echos aus dem tiefen, unheimlichen Ozean, von irgendwoher unglaublich weit unter uns. Ich konnte nicht fassen, wie