Weisst du eigentlich, dass du mir das Herz gebrochen hast
heb die mal auf.«
Wir saßen einander eine Weile schweigend gegenüber. Ich kaute weiter auf meinem Strohhalm herum und starrte durch das Fenster aufs Meer hinaus.
Patrick verstand den Wink und wechselte das Thema. »Du bist also sechzehn, hm?«
Ich nickte, ohne ihn anzusehen. »Fast.«
»Und du bist seit einer Woche hier?«
Wieder nickte ich, obwohl ich mir nicht sicher war. Ich hatte mein Zeitgefühl verloren. Ich spürte die Zeit um mich herum verrinnen, sah die Sonne auf- und untergehen wie immer, aber die Minuten dehnten sich ins Endlose. Nicht wie bei Langeweile, wenn mir in der Geschichtsstunde der Kopf aufs Heft fiel und ich den Pausengong herbeisehnte. An diesem Ort passierten die Dinge wie im Zeitraffer und in Zeitlupe zugleich.
»Also, was ist, Käsesahne?« Er warf mir ein hoffnungsvolles Lächeln zu. »Haben wir jetzt etwa keinen Spaß?«
»Spaß?«, brach es aus mir heraus. »Das soll Spaß sein?«
»Warum nicht?« Er schaute zur Tür hinüber. »Wie ich es gesagt habe. Du weißt, dass wir hier rausspazieren können, wann immer wir wollen, nicht wahr?«
»Um wohin zu gehen?«
Er schmunzelte. »Was hast du denn gedacht, Käsestange? Dass du hier bis in alle Ewigkeit sitzen und dir Pizza in den Mund schieben musst?«
»Keiner von euch geht je nach draußen«, brummte ich und sah zu der Kreuzworträtsel-Lady hinüber. »Es nervt, dass sie hier das Sagen hat.«
Patrick sah mich amüsiert an. »Wer hat behauptet, dass sie hier das Sagen hat?«
Ich verstand seine Frage nicht. Wir waren allesamt minderjährig. Irgendjemand musste doch die Verantwortung haben. Oder nicht?
»Aber wenn nicht sie«, sagte ich nachdenklich, »wer dann?«
Er beugte sich mit einem geheimnisvollen Lächeln zu mir vor, als ob er mir ein Geheimnis anvertrauen wollte.
»Du selbst, Ricotta«, sagte Patrick. » Du hast das Sagen.«
9
i was walking with a ghost
Meine Mom hätte mir bestimmt den Hals umgedreht, wenn sie gewusst hätte, dass ich auf einem Motorrad den Pacific Coast Highway entlangraste, und noch dazu mit einem Jungen, den ich gerade erst kennengelernt hatte. Das meine ich ernst, sie hätte mir wirklich den Hals umgedreht.
Aber sie wusste es nicht. Und es war mir auch irgendwie egal. Nach all den Tränen tat mir ein bisschen Ablenkung von allem, was passiert war, gut. Ich konnte jetzt ohnehin nichts daran ändern. Das lernte ich schnell. Man konnte über das, was passiert war, wieder und wieder nachgrübeln und sich fragen, was man falsch gemacht hatte oder hätte anders machen können, aber das war sinnlos. Denn man konnte ja doch nichts daran ändern. Warum sollte man sich also den Kopf zerbrechen?
Außerdem war das Leben nach dem Tod, na ja, irgendwie cool. Es fühlte sich an wie diese seltsame, aber faszinierende Zwischenwelt, in der man schwebt, wenn man weiß, dass man noch zehn wundervolle Minuten Zeit hat, bevor der Wecker klingelt, und einem gleichzeitig völlig klar ist, dass man träumt. (Aber in meinem Fall war der Wecker für alle Ewigkeit auf Schlummerfunktion eingestellt. Und der Traum hielt für immer an.)
Patrick wollte mich zunächst nicht auf seinem Motorrad mitfahren lassen.
»Ähm, lieber nicht.«
»Komm schon.«
»Nee.«
»Warum nicht?«
»Weil ich nicht dein Chauffeur bin, deshalb!«
»Bitte!«
Er sah mir ernst in die Augen, und ich hatte nicht das Gefühl, dass er nur Spaß machte. »Ich finde einfach, dass es keine gute Idee ist, okay?«
»Das ist witzig, denn ich finde, dass es eine fantastische Idee ist.«
Er konnte nicht ahnen, dass ich schon immer schreckliche Angst vor Motorrädern gehabt hatte und auch jetzt noch hatte. Sie waren gefährlich und laut, und Dad hatte uns schon von so vielen schrecklichen Verletzungen durch Motorradunfälle erzählt, die er in der Notaufnahme gesehen hatte. Aber der eigentliche Grund für meine Angst war ein anderer und lag viel tiefer. Doch davon erzählte ich Patrick nichts.
Ich hatte nämlich, seit ich denken konnte, immer wieder denselben Albtraum: Ich saß auf einem Motorrad, mein Gesicht und die Arme dem blauen, wolkenlosen Himmel entgegengestreckt, und dann – peng – passierte es. Der Himmel wurde finster. Es begann zu stürmen. Ich spürte, wie der Fahrer die Kontrolle über das Motorrad verlor, und hörte das Geräusch quietschender Reifen und berstenden Metalls. Ich wurde vom Motorrad geschleudert und flog durch dichte, heiße Rauchschwaden, bis ich in letzter Sekunde schweißgebadet und mit rasendem Puls
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