Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Weit Gegangen: Roman (German Edition)

Weit Gegangen: Roman (German Edition)

Titel: Weit Gegangen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dave Eggers
Vom Netzwerk:
herkommen, und wir sagen, aus dem Sudan. Ihre Augen werden lebendig.
    »Moment. Darfur, richtig?«
    Es ist eine Tatsache, dass Darfur inzwischen bekannter ist als das Land, in dem die Region liegt. Wir erklären ihr rasch die Geografie.
    »Sudan, wow«, sagt sie halbherzig, während sie die Schlösser an unserer Wohnungstür untersucht. »Und was machen Sie hier?«
    Wir erklären ihr, dass wir arbeiten und aufs College gehen möchten.
    »Und waren Sie bei dem Völkermord dabei? Opfer?«
    Ich setze mich, und Achor Achor versucht, ihr die Dinge zu erläutern. Ich überlasse ihm die Erklärungen und hoffe, dass sie vielleicht ihr Büchlein wieder aufklappen wird, um sich weitere Informationen über den Raubüberfall zu notieren. Achor Achor beschreibt unsere Heimat und unsere Beziehung zu Darfur, und erst als er erwähnt, dass auch einige aus diesem Gebiet inzwischen in Atlanta leben, scheint ihr Interesse geweckt.
    Sie kamen eines Tages in unsere Kirche in Clarkston, Officer. Unser Priester, Pater Kerachi Jangi, machte uns auf die Gäste hinten in der Kirche aufmerksam, und als wir uns umdrehten, erblickten wir die acht Neuankömmlinge, drei Männer, drei Frauen und zwei Kinder unter acht, fast alle elegant gekleidet. Nur eines der Kinder, ein kleiner Junge, trug ein Trikot der Carolina Panthers . Wir begrüßten sie und nach dem Gottesdienst noch einmal, verwundert, sie bei uns in der Kirche zu sehen, und wir wollten unbedingt wissen, was sie vorhatten. Es war ungewöhnlich, dass Darfurer, die überwiegend Muslime sind, Umgang mit Dinka hatten, und es war noch nie vorgekommen, dass sie an einem Sonntag eine christliche Kirche besuchten. Die Darfurer hatten sich immer schon mehr mit den Arabern als mit uns identifiziert, obwohl sie uns viel ähnlicher sehen als den Arabern. Außerdem hatten wir schon seit langer Zeit gemischte Gefühle ihnen gegenüber, weil viele der räuberischen Murahilin, die unsere Dörfer terrorisierten, aus Darfur kamen. Wir brauchten eine Weile, um zu erkennen, dass die Leidtragenden dieser neuen Phase des Bürgerkriegs nicht unsere Unterdrücker waren, sondern Opfer, wie wir selbst. Und so ließen wir sie in Ruhe, und sie uns. Aber das ist inzwischen alles anders, und es gibt wechselnde Allianzen.
    Als Achor Achor fertig ist, seufzt die Polizistin.
    »So«, sagt sie und blickt noch einmal auf den Fleck.
    Sie reicht mir ein Stück Papier von der Größe einer Visitenkarte. Darauf steht BESCHWERDEFORMULAR. Achor Achor nimmt es.
    »Soll das heißen, seine Anzeige gilt als Beschwerde?«, fragt Achor Achor.
    »Ja«, sagt sie und lächelt beinahe. Dann merkt sie, dass Achor Achor diese Bezeichnung stört. »Warum?«
    Ich sage ihr, dass ich mich mehr als nur beschweren möchte, nachdem mir eine Waffe an den Kopf gehalten worden ist.
    »Das ist der übliche Ablauf bei solchen Vorkommnissen«, sagt sie und klappt ihr Notizbuch zu. Sie hat höchstens fünf Wörter hineingeschrieben.
    »Ich wünsche Ihnen alles Gute, okay?«
    Sie geht, und ich kann mich nicht einmal dazu aufraffen, mich zu ärgern. Das Gefühl der Hoffnungslosigkeit ist überwältigend. In den fünfzig Minuten, die wir auf die Ankunft der Polizeibeamtin warten mussten, hat sich so viel Empörung und Rachedurst in mir aufgestaut, dass ich jetzt nicht weiß, wohin mit diesen Gefühlen. Ich falle auf mein Bett und lasse alles durch das Bettzeug, den Boden, die Erde fließen. Mir ist nichts geblieben. Wir Flüchtlinge können gefeiert, umsorgt und unterstützt werden, nur um gleich darauf von allen völlig ignoriert zu werden, wenn wir uns als lästig erweisen. Wenn wir hier auf Probleme stoßen, ist es unweigerlich unsere Schuld.
    »Es tut mir leid«, sagt Achor Achor. Er sitzt auf meinem Bett. »Wir sollten jetzt ins Krankenhaus fahren, okay? Wie geht’s deinem Kopf?«
    Ich sage ihm, dass der Schmerz schlimm ist, dass er durch meinen ganzen Körper zieht.
    »Dann fahren wir jetzt«, sagt er. »Komm.«
    Achor Achor bringt mich mit meinem Auto zum Krankenhaus in Piedmont. Auf seinen Vorschlag hin sitze ich hinten. Ich lege mich auf die Rückbank, hoffe, dass der Schmerz in meinem Kopf dadurch nachlassen wird. Ich betrachte den Himmel, der vorüberzieht, kahle Bäume, die am Fenster vorbeihuschen, doch der Schmerz wird nur noch größer.

XVI.
    Ich war schon einmal in diesem Krankenhaus. Kurz nach meiner Ankunft in Atlanta brachte Anne Newton mich hierher, und ich wurde einmal gründlich durchgecheckt. Das sei das beste Krankenhaus von

Weitere Kostenlose Bücher