Weit Gegangen: Roman (German Edition)
Armeen der Murahilin vor, nur eben mit weißen Männern auf weißen Pferden.
– Und aus welchem Grund ist dieser Weiße nun nach Pinyudo gekommen?, fragte ich.
– Das weiß ich noch nicht, sagte Dut.
Ich beschloss, ein paar Tage abzuwarten, bis mehr Informationen zur Verfügung standen, um näher an den auf links gedrehten Mann ranzukommen. Am folgenden Tag war die Sachlage schon klarer: Der Mann hatte einen Namen, entweder Peter oder Paul, er war Franzose, und er repräsentierte etwas, das UNHCR hieß. Er war hier, um den Ältesten zu helfen, Lebensmittellager zu bauen. Falls er die Leute mochte, denen er hier begegnete, würde er Lebensmittel bringen, um die Lager zu füllen, so wurde erzählt. Diese Erklärung wurde von den meisten Jungen akzeptiert, wenngleich viele von uns den Mann noch immer argwöhnisch beäugten und alles Mögliche von ihm erwarteten: Tod, Erlösung, Feuer.
Als sich das Interesse an dem Mann gelegt hatte, kam ich nah genug an ihn heran, um ihn genauer beobachten zu können. Seine Haut war seltsam. An manchen Tagen war sie tatsächlich kreideweiß, an anderen war sie rosa, wie bei einem Schwein oder am Bauch einer Ziege. Seine Arme und Beine waren mit buschigem dunklem Haar bedeckt, wieder wie bei einem Schwein, nur dass seine Haare länger waren.
Der Mann produzierte mehr Schweiß, als ich je bei einem Menschen gesehen hatte. Alle paar Minuten wischte er sich den Schweiß vom Gesicht; das schien den ganzen Tag über seine Hauptbeschäftigung zu sein. Ich ertappte mich dabei, dass der weiße Mann mir leidtat, weil er so schwitzte und weil er so viele Ähnlichkeiten mit einem Schwein hatte. Die Hitze in Pinyudo war nichts für ihn, und ich fürchtete, er könnte verbrennen. Er wirkte zerbrechlich, von der Sonne niedergedrückt. Stets hatte er eine Flasche Wasser bei sich, die er mit einer Art Gürtel am Rücken befestigt trug. Er schwitzte, dann wischte er sich den Schweiß ab, dann trank er Wasser, und bald darauf setzte er sich unter den Feigenbaum, allein.
Ich besuchte Ajulo und fragte sie nach ihm. Auch sie hatte von dem weißen Mann gehört. Ich fragte sie, ob die Anwesenheit des auf links gedrehten Mannes ein gutes Zeichen war, was es bedeuten mochte. Sie dachte lange darüber nach.
– Der Khawaja ist eine interessante Sache, Sohn. Er ist sehr schlau. Er hat Dinge im Kopf, die du dir gar nicht vorstellen kannst. Er kennt viele Sprachen und die Namen der Dörfer und Städte, und er kann Flugzeuge fliegen und Autos fahren. Die Weißen kommen mit all diesem Wissen auf die Welt. So gesehen ist er mächtig und für uns sehr nützlich, sehr hilfreich. Wenn du einen Weißen siehst, bedeutet das, dass die Dinge sich bessern. Deshalb denke ich, dieser Mann ist gut für euch.
Nach der Kirche stellte ich dem Priester dieselbe Frage.
– Es ist eine sehr gute Sache, Achak, sagte er. – Der weiße Mann ist ein direkter Nachfahre von Adam und Eva, weißt du. Du hast doch in deinen Büchern Bilder von Jesus gesehen, nicht wahr? Adam und Eva und Jesus und Gott haben alle so eine Haut. Sie sind empfindlich, ihre Haut verbrennt in der Sonne, weil sie dem Rang der Engel näher sind. Engel würden ganz ähnlich verbrennen, wenn sie auf der Erde wären. Dieser Mann ist hier, um Botschaften Gottes zu verkünden.
Ich begann, den Mann namens Peter oder Paul enger zu umkreisen, und bald schien er mich zu bemerken. Eines Tages gingen Moses und ich nah an dem Mann vorbei, der unter seinem Feigenbaum saß, und taten so, als schauten wir nicht hin.
– Der Khawaja hat dir zugelächelt!, sagte Moses.
Zuerst beunruhigte mich das. Ich hatte beschlossen, dass es schlecht sei, wenn der weiße Mann seinen Blick auf mich richtete, deshalb sah ich immer weg und ging schnell nach Hause, wenn der Mann sich nach mir umdrehte. Lieber beobachtete ich aus sicherer Entfernung, wie der Mann arbeitete, oder betrachtete ihn, wenn er sich unter dem riesigen Feigenbaum ausruhte, immer allein. Es war einleuchtend, dass der weiße Mann sich allein ausruhte, weil er ja Botschaften von Gott empfangen musste. Umgeben von lärmenden Menschen wären solche Botschaften schwer zu hören gewesen. Ich stellte mir diese Botschaften als etwas besonders Zartes vor. Das schien mir zu dem weißen Mann zu passen, denn er wirkte wie ein sehr sanftmütiger Mensch, ein stiller Gott, falls er tatsächlich ein Gott oder Götterbote war.
Viele Nächte lag ich schlaflos in meiner Unterkunft, das Moskitonetz dicht am Gesicht, während die Nacht
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