Weit Gegangen: Roman (German Edition)
Mauretanien. Ich verbrachte zwei Wochen in dieser Scheune, ohne Essen und mit nur einem Eimer Wasser für uns fünfzig Jungen.
– Bist du verkauft worden?
– Ja, Achak. Ich wurde zweimal verkauft. Zuerst an einen sudanesischen Araber. Er war ein alter Mann, und er hatte seinen Sohn dabei. Sie waren sehr seltsam. Sie kauften mich, und ich ging mit ihnen, spazierte einfach aus der Stadt ohne irgendwelche Fesseln oder Leinen oder sonst was. Sie hatten ein Kamel bei sich, aber wir drei gingen einfach nur weg. Wir waren viele Tage unterwegs, zu Fuß oder zu dritt auf dem Kamel. Es war sehr unbequem, aber die beiden waren keine grausamen Menschen. Sie sprachen kaum ein Wort, und ich stellte keine Fragen. Ich wusste, dass wir Richtung Süden unterwegs waren, auf die Sonne zu, und ich wollte abwarten, wie weit wir gehen würden, und irgendwann würde sich dann für mich eine Gelegenheit zur Flucht ergeben.
– Und wo bist du dann geflohen?
– Das brauchte ich gar nicht, Achak! Ich sagte dir ja, dass ich zweimal gekauft wurde, und beim zweiten Mal kam ich frei. Wir kampierten drei Tage in einem Wald und taten den ganzen Tag lang fast nichts. Sie ließen mich tagsüber Holz sammeln, aber ansonsten saßen wir nur da und schliefen im Schatten. Am zweiten Tag kam ein anderer Araber sie besuchen, und sie erzählten sich irgendetwas, und dann ging der Mann wieder. Am dritten Tag standen wir bei Tagesanbruch auf und gingen bis zum Mittag, bis wir einen Flugplatz erreichten, und da sah ich zwanzig andere Dinka – Jungs wie mich, Frauen, Mädchen und einen alten Mann. Um sie herum waren zehn Araber zu Pferd, manche bewaffnet. Sie wirkten wie eine Mischung aus Händlern und Murahilin, und die zwei Araber, die mich gekauft hatten, führten mich zu der anderen Gruppe, und ich hatte solche Angst, Achak! Ich dachte, sie hätten mich den weiten Weg hergebracht, um mich mit den anderen Dinka zu töten. Aber das hatten sie nicht vor.
– Sie töteten niemanden?
– Nein, nein. Wir waren wertvoll für sie! Was für ein Gefühl! Ein Flugzeug landete auf der Piste, und aus dem Flugzeug stiegen zwei Menschen mit weißer Haut. Hast du so welche schon mal gesehen, Achak?
Ich sagte nein.
– Es waren ein Mann, sehr dick, und eine sehr große Frau. Der Pilot sah so aus wie die Äthiopier hier. Und dann sprachen die Weißen eine Zeit lang mit den Arabern, die die Dinka bewachten. Sie hatten so eine Art Beutel dabei, der voller Geld war, wie ich später erfuhr. So wurde ich ein zweites Mal gekauft, Achak!
– Diese Leute haben dich gekauft? Warum?
– Sie haben uns alle gekauft, Achak. Es war sehr seltsam. Sie haben für uns alle bezahlt, und dann sagten sie, wir seien frei, aber wir hatten keine Ahnung, wo wir waren. Die Araber wandten sich um und gingen davon, Richtung Westen, und wir warteten. Die Weißen warteten mit uns, fast den ganzen Nachmittag. Schließlich tauchten zwei sehr gut und mit sauberen Hemden gekleidete Dinka-Männer in einem großen weißen Fahrzeug auf. Es sah ziemlich neu aus. Und viele von den ehemaligen Sklaven stiegen ein, und manche gingen nebenher, und ich fuhr mit einem anderen Jungen auf dem Dach. Wir waren viele Stunden unterwegs, bis es dunkel wurde und wir ein Dinka-Dorf erreichten. Einige Wochen lang aß und schlief ich dort, bis man mir sagte, ich solle mich dem Marsch der Jungen anschließen.
– Und bist du mit einer großen Gruppe mitgegangen?
– Es war nicht mal so schlimm, Achak. Einmal durfte ich sogar in einem Tankwagen mitfahren.
In dem Moment war ich sehr neidisch auf Moses, aber das sagte ich ihm nicht. Ich dankte Gott dafür, dass er Moses diese kleine Gnade erwiesen hatte. Dann erzählte ich Moses von William K, und danach blieben wir den Rest des Tages am Fluss sitzen. Moses sagte gar nichts mehr.
Geschichten wie die von Moses wurden in Pinyudo immer häufiger erzählt, da es gelegentlich vorkam, dass Jungen, die entführt worden waren, befreit wurden oder flohen und zu uns ins Lager fanden. Aber Moses war der einzige Junge, den ich kannte, dem weiße Leute geholfen hatten, daher erfuhr man nicht allzu viel über ihre Taten. Ich persönlich hatte meine Zweifel, dass die beiden Leute, die Moses gesehen hatte, tatsächlich weiß gewesen waren, bis ich selbst zum ersten Mal ein Exemplar dieser Spezies sah. Da waren wir ungefähr drei Monate in Äthiopien, und Moses war einer der Elf geworden. Inzwischen hatte die übrige Welt oder zumindest ein Teil der Welt, die sich um humanitäre Hilfe
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