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Weit Gegangen: Roman (German Edition)

Weit Gegangen: Roman (German Edition)

Titel: Weit Gegangen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dave Eggers
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war er still. Ein guter und verantwortungsbewusster Koch zu sein war überaus wichtig.
    Ich war ein ausgezeichneter Koch, aber am Anfang war es schwierig, die Suppe auszuteilen. In der ersten Zeit im Camp gab es weder Teller noch Besteck, daher wurde das Essen, sogar die Suppe, in leeren Getreidesäcken serviert. Die Säcke waren aus robustem Plastikmaterial, durch das nicht alles gleich durchsickerte. Nach vielen Monaten bekamen wir Besteck, und wieder einige Monate später wurden Teller verteilt, für jeden ein Aluminiumteller. Während der gesamten Zeit in Pinyudo wurde nicht gefrühstückt, doch nach einer Weile fingen wir an, morgens Tee zu trinken, obwohl gar kein Tee ausgeteilt wurde. Wenn wir also welchen wollten, mussten wir einen Teil unserer Lebensmittelration im Ort gegen Tee und Zucker eintauschen. Wenn wir nichts hatten, was wir gegen Zucker eintauschen konnten, oder wenn es in den Läden keinen Zucker mehr gab, holten wir uns Honig aus Bienenstöcken.
    Eines Tages war ich gerade beim Kochen, als einer meiner Nachbarn, ein rundgesichtiger Junge namens Gor, angelaufen kam. Es war ihm anzusehen, dass er irgendwelche Neuigkeiten hatte, aber wir beide waren nicht befreundet, und daher war er sichtlich enttäuscht, dass ich sie als Erster erfahren sollte, weil außer mir niemand da war.
    – Die Vereinigten Staaten sind in Kuwait und den Irak einmarschiert!
    Ich wusste nicht, was Kuwait war oder der Irak. Gor war ein schlauer Junge, aber es kränkte mich, dass er sich so gut in der Welt auskannte. Ich hatte gedacht, in Pinyudo würden wir alle gleichermaßen ausgebildet, aber es gab gewisse Ungerechtigkeiten, die kaum zu erklären waren.
    – Die retten Kuwait vor Saddam Hussein! Die haben fünfhunderttausend Soldaten geschickt, um Kuwait zu befreien. Die werden Hussein davonjagen!
    Ich heuchelte einige Minuten lang Verständnis, doch schließlich schluckte ich meinen Stolz hinunter und bat um eine ausführliche Erklärung. Saddam Hussein sei ein irakischer Diktator, erläuterte Gor, und er habe der sudanesischen Armee Waffen und Flugzeuge geliefert. Hussein hatte Khartoum mit Geld und Nervengas versorgt. Einige der Hubschrauber, die unsere Dörfer angriffen, wurden von irakischen Piloten geflogen.
    – Dann ist das also gut, fragte ich, – dass die Vereinigten Staaten gegen ihn kämpfen?
    – Aber ja! Aber ja!, sagte Gor. – Es bedeutet, dass die Amerikaner bald auch gegen Khartoum kämpfen werden. Es bedeutet, dass sie alle muslimischen Diktatoren der Welt absetzen werden. Genau das bedeutet es. Das garantier ich dir. Gott hat durch die Amerikaner gesprochen, Achak.
    Und fort war er, auf der Suche nach anderen Jungen, die er aufklären konnte.
    Eine Zeit lang lautete die vorherrschende Theorie im Camp, dass der Krieg im Irak und in Kuwait unweigerlich den Sturz der islamischen Fundamentalisten in Khartoum zur Folge haben würde. Aber dazu kam es nicht. Das Kriegsgeschick war der SPLA in jenem Jahr nicht hold. Schlachten und Territorien waren verloren worden, und wie nicht anders zu erwarten, begannen die Rebellen, sich zu zerstreiten.
    Eines Tages wurden wir morgens um zehn zu einer Versammlung gerufen. Der Unterricht wurde abgebrochen, und wir strömten aus den Klassenräumen.
    – Auf den Paradeplatz!, befahlen die Lehrer.
    Ich fragte Achor Achor, worum es bei der Versammlung ging, und er wusste es nicht. Ich fragte einen Erwachsenen, der mich prompt anfuhr.
    – Seht zu, dass ihr auf den Paradeplatz kommt. Das wird euch gefallen.
    – Müssen wir heute Nachmittag arbeiten?
    – Nein. Heute Nachmittag ist Erziehung.
    Achor Achor und ich gingen gut gelaunt zum Platz. Alles war besser, als nachmittags arbeiten zu müssen, und schon bald saßen wir in der vordersten Reihe einer unaufhörlich anwachsenden Menge von Jungen. In jener Woche war ein SPLA-Kommandeur namens Giir Chuang im Camp, und wir vermuteten, dass die Versammlung zu seinen Ehren einberufen worden war.
    Kommandant Geheim war da, ebenso wie Kommandant Gürtelschnalle und Mr Potenzielle Nahrung und Mr Kondit und alle anderen Ältesten des Lagers. Ich hielt Ausschau nach Dut, fand ihn aber nicht. Er war schon seit vielen Monaten nur noch von Zeit zu Zeit im Camp, und die Jungen, die mit ihm marschiert waren, erfanden Gründe für seine häufige Abwesenheit: Er sei jetzt ein Kommandant der SPLA, er gehe in Addis Abeba aufs College. Auf jeden Fall vermissten wir ihn an jenem Tag, wir alle. Ich schaute mich um und sah, dass die meisten

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