Weit Gegangen: Roman (German Edition)
versuchten zu fliehen und wurden erschossen. Jungen verloren ihre Gewehre und wurden erschossen. Ich wusste inzwischen, dass ein Teil der Nachrichten aus Bonga falsch war, doch zwischen dem, was verschwiegen wird, und dem, was übertrieben wird, steckt immer ein bisschen Wahres. Wer losgezogen war, um gegen die Araber zu kämpfen, musste zunächst gegen seine Vorgesetzten kämpfen. Dennoch, jede Woche verließen Jungen die weitgehende Sicherheit und Geborgenheit Pinyudos aus freien Stücken, um sich in Bonga ausbilden zu lassen. Auf diese Weise verloren wir zwischen Sommer und Winter drei der Elf, und alle wurden letzten Endes getötet. Machar Dieny kämpfte und wurde 1990 im Südsudan getötet. Mou Mayuol schloss sich der SPLA an und wurde 1992 in Juba getötet. Aboi Bith schloss sich der SPLA an und wurde 1995 in Kapoeta getötet. Er war vermutlich vierzehn Jahre alt. Jungen geben nun mal sehr schlechte Soldaten ab. Das ist das Problem.
Unsere Tage waren jetzt neu organisiert. Wo es zuvor um Schule und Fußball und einfache Arbeiten wie Wasserholen gegangen war, mussten wir nun – zusätzlich zu der Feldarbeit – schwere körperliche Arbeit leisten und Aufgaben erfüllen, für die wir eigentlich viel zu jung waren.
Jeden Morgen, wenn wir auf dem Paradeplatz angetreten waren, stellten die Ältesten Gruppen zusammen: – Ihr werdet mithelfen, für Kommandant Kons Frau einen Verschlag für die Ziegen zu bauen. Eine andere Gruppe: – Ihr geht im Wald Feuerholz suchen. Wieder eine andere: – Ihr helft diesem Ältesten dabei, ein neues Haus für seine Verwandten zu bauen. Wenn die Schule zu Ende und das Mittagessen vorbei war, wussten wir genau, wo wir hinmussten.
Ich war zwei Wochen damit beschäftigt, ein Haus für einen Bekannten meines Biologielehrers zu bauen. Wir wurden mit allen möglichen Aufgaben betraut, ganz gleich wie groß oder klein. Wir säten Samen in Gärten aus, wir bauten Aborte. Wir wuschen die Wäsche von jedem Ältesten, der das verlangte. Viele SPLA-Angehörige hatten ihre Familien in Pinyudo untergebracht, während sie selbst im nahen Bonga ausgebildet wurden. Also wuschen wir deren Wäsche im Fluss und brachten den Offiziersfrauen Wasser und erledigten jede Aufgabe, die ihnen einfiel. Bezahlt wurden wir nicht, und wir konnten von den Nutznießern unserer Arbeit nicht einmal ein Glas Wasser erbitten, geschweige denn erwarten. Einmal bat ich um etwas zu trinken, nachdem ich und die Elf – genauer gesagt zehn von ihnen, Isaac hatte sich krank gestellt – die Unterkunft für die Familie eines neu eingetroffenen Offiziers fertiggestellt hatten. Wir standen an der Tür der Hütte, einer Tür, die wir gerade eingebaut hatten, und die Frau des Offiziers trat uns mit wütendem Blick entgegen.
– Wasser? Soll das ein Witz sein? Verschwindet, ihr Moskitos. Trinkt aus einer Pfütze!
Oft arbeiteten wir, bis es dunkel wurde. Manchmal aber hatten wir vom späten Nachmittag an frei und durften spielen gehen. Überall in Pinyudo wurde Fußball gespielt, wobei es meistens keine erkennbaren Spielfelder oder gar Tore gab. Irgendein Junge schnappte sich den Ball – an neuen Fußbällen bestand kein Mangel, sie seien ein Geschenk von John Garang, hieß es – und dribbelte damit los, und im Handumdrehen folgten ihm hundert Jungen, die nur einmal Ballkontakt haben wollten. Doch auch dann noch, am späten Nachmittag, konnte es passieren, dass ein Ältester eine Eingebung hatte.
– He, ihr da!, rief er dann den zahllosen Jungen zu, die barfuß den Ball durch den Staub kickten, – ihr drei, kommt her. Ich habe Arbeit für euch.
Und wir folgten gehorsam.
Keiner wollte in den Wald, denn im Wald verschwanden Jungen. Die ersten beiden, die starben, waren bekanntlich von Löwen gefressen worden, und deshalb versuchten sich alle davor zu drücken, im Wald nach Baumaterial zu suchen. Wenn wir zum Dienst im Wald verdonnert wurden, drehten manche Jungen durch. Sie versteckten sich in Bäumen. Sie flohen. Viele flohen nach Bonga, um Soldat zu werden, nur damit sie nicht in den Wald geschickt werden konnten, wo Jungen verschwanden. Im Laufe der Monate verschlechterte sich die Lage. Der Wald gab immer weniger her, sodass die Jungen, die nach Gras oder Pfosten oder Feuerholz suchten, täglich weiter ins Unbekannte vorstoßen mussten. Immer mehr von ihnen kamen nicht zurück, aber die Arbeit ging weiter, es wurde immer mehr gebaut.
Eines Tages riss der Wind die Dächer von vielen der Häuser, die von den Ältesten
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