Weit Gegangen: Roman (German Edition)
zweiundzwanzigmal das Messer in Tabitha stieß. Endlich wurde er langsamer und hörte auf. Er blieb schwer atmend stehen. Er sah zu Veronica hinüber und lächelte müde. »Ich muss sicher sein, dass sie tot ist«, sagte er und wartete dann neben Tabithas Körper ab.
Nachdem Tabitha gestorben war, ging Duluma aus der Wohnung und stürzte sich von einer Überführung. Ich fragte Achor Achor, ob er tot war. Er war nicht tot. Er war im Krankenhaus, mit gebrochenem Rückgrat.
Ich verließ die Konferenz und ging alleine dorthin, wo man vom Campus aus den Highway überblicken konnte. Auf der Straße herrschte dichter Verkehr, ein lautes Getöse aus Tempo und Gleichgültigkeit. Es war zu früh, um es zu glauben, zu empfinden. Aber in jener Stunde, die ich allein verbrachte, war ich absolut davon überzeugt, nun vollkommen allein zu sein. Ich lebte ohne Gott, wenn auch nur für eine gewisse Zeit, und die Gedanken, denen ich nachhing, waren die dunkelsten, die mein Verstand je hervorgebracht hatte.
Ich kehrte zu der Konferenz zurück und erzählte Bobby und den anderen, was geschehen war. Die Konferenz endete an diesem Tag, und sie versuchten mich zu trösten. Ich wollte sofort nach Seattle fliegen, aber Achor Achor sagte, das solle ich nicht tun. Die Familie sei zu erschüttert, sagte er, und ihre Brüder wollten mich nicht sehen. Ich konnte noch immer nicht fassen, dass sie wirklich tot war, und so dachte ich an jenem ersten Tag über Ursachen und Lösungen nach. Über Rache und Glauben.
»Gott hat ein Problem mit mir«, sagte ich zu Bobby. Wir waren auf der Heimfahrt von der Konferenz. Er antwortete eine Weile nicht, und sein Schweigen bedeutete, dass er mir zustimmte.
»Nein, nein!«, sagte er schließlich. »Das ist nicht wahr. Es ist bloß …«
Aber ich war sicher, dass es da eine Botschaft gab, die unmittelbar an mich gerichtet war.
»Es tut mir furchtbar leid«, sagte Bobby.
Ich sagte ihm, es müsse ihm nicht leidtun.
Bobby suchte nach Worten und beschwor mich, mir keine Vorwürfe zu machen oder in Tabithas Ermordung irgendwelche göttlichen Absichten hineinzulesen. Doch während der Fahrt schlug er mehrmals mit der Faust aufs Lenkrad und schrie und fuhr sich mit den Händen durchs Haar.
»Vielleicht liegt es an diesem verdammten Land«, sagte er. »Vielleicht machen wir die Leute einfach verrückt.«
Das alles war heute vor vier Monaten. Obwohl mir leise Zweifel im Kopf herumspukten und obwohl ich so manche gottlose Stunde hatte, blieb mein Glaube ungebrochen, weil ich nie den Eindruck hatte, dass Gott sich in unsere Angelegenheiten direkt einmischt. Vielleicht haben mir meine Lehrer nicht beigebracht, dass Gott die Winde lenkt, die uns entweder davonreißen oder tragen. Und doch merkte ich auf unserer Fahrt im Auto, dass ich nach dieser Nachricht auf Abstand zu Gott ging. Ich habe Freunde gehabt, bei denen ich erkannte, dass es keine guten Freunde waren und sie mehr Ärger als Glück brachten, und von denen ich mich daraufhin distanzierte. Jetzt denke ich über Gott, meinen Glauben, dasselbe, was ich über diese Freunde dachte. Gott ist Teil meines Lebens, aber ich verlasse mich nicht auf ihn. Mein Gott ist kein zuverlässiger Gott.
Tabitha, ich werde dich lieben, bis ich dich wiedersehe. Für Liebende wie uns gibt es Bestimmungen, da bin ich sicher. Im Jenseits, wie auch immer es aussehen mag, gibt es Bestimmungen. Ich weiß, du warst dir unsicher, was mich anging, du hattest mich noch nicht als Einzigen erwählt, aber jetzt wo du nicht mehr bist, erlaube mir die Annahme, dass du kurz davor warst einzusehen, dass ich der Richtige für dich war. Aber vielleicht ist es falsch, so zu denken. Ich weiß, du hattest auch von anderen Männern Besuch, nicht nur von mir und Duluma. Wir waren jung. Wir hatten noch keine Pläne gemacht.
Tabitha, ich bete oft für dich. Ich lese zurzeit ein Buch von Mutter Teresa und Frère Roger mit dem Titel: Gebet – Quelle der Liebe , und jedes Mal, wenn ich darin blättere, entdecke ich neue Passagen, die wie für mich geschrieben sind und die beschreiben, was ich empfinde, seit du nicht mehr da bist. In dem Buch sagt Frère Roger zu mir: »Vierhundert Jahre nach Christus lebte in Nordafrika ein Glaubender, der Augustinus hieß. Er hatte Schlimmes durchgemacht, den Tod nahestehender Menschen miterlebt. Eines Tages konnte er zu Christus sagen: ›Licht meines Herzens, laß nicht zu, daß meine Dunkelheit zu mir spricht.‹ In seiner Bedrängnis war Augustinus klar geworden,
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