Weit Gegangen: Roman (German Edition)
daß ihn der Auferstandene nie verlassen hatte, daß seine Gegenwart mitten in der eigenen Dunkelheit ein Licht ist.«
Es hat Zeiten gegeben, da konnten mir diese Worte helfen, und Zeiten, in denen fand ich diese Worte hohl und phrasenhaft. Diese Autoren, die ich überaus achte, scheinen trotzdem nicht zu wissen, welche Zweifel einen Menschen in den zornigsten Winkeln seiner Seele befallen können. Zu oft sagen sie, ich solle meine Zweifel mit Gebeten beantworten, was für mich ungefähr so klingt, als könnte man seinen Hunger mit dem Gedanken ans Essen bekämpfen. Aber dennoch, auch wenn ich frustriert bin, blättere ich weiter und finde unter Umständen eine neue Passage, die mir etwas sagt. Zum Beispiel folgende von Mutter Teresa: »Gemeinsam angenommenes, gemeinsam getragenes Leiden ist Freude. Denk daran, dass die Passion Christi immer in die Freude über die Auferstehung Christi mündet; denk daran, wenn du das Leiden Christi im Herzen spürst, dass die Auferstehung unaufhaltsam kommt und die Osterfreude heraufzieht.« Und dann folgt ein Gebet, das ich in den vergangenen Wochen häufig gebetet habe und das ich auch heute Nacht in meinem Auto flüstere, auf dieser Straße mit den überhängenden Bäumen und dem bernsteinfarbenen Licht der Straßenlampen.
Jesus, lass uns erkennen, dass wir zu einem erfüllten Leben finden, wenn wir immer wieder uns selbst und unseren eigensüchtigen Neigungen sterben. Denn nur indem wir mit dir sterben, können wir mit dir auferstehen.
Tabitha, in diesen letzten Monaten ohne dich, als ich mich zunächst fragte, wo du jetzt sein magst, ob im Himmel oder in der Hölle oder in irgendeinem Fegefeuer, da hatte ich die unerträglichsten Gedanken, mörderische und selbstmörderische Gedanken. Ich habe so erbittert mit allem Schrecklichen gekämpft, was ich Duluma antun wollte, und mit der Sinnlosigkeit, die ich während meiner dunkelsten Minuten im Leben sah. Eine gewisse Linderung fand ich im abendlichen Konsum von Alkohol. Normalerweise kann ich nach zwei Flaschen Bier schlafen, wenn auch unruhig. Achor Achor machte sich Sorgen um mich, aber er sah auch, dass ich mich wieder fing. Er weiß, dass ich schon einmal an diesem Punkt war, dass ich am Abgrund der Selbstauslöschung stand und mich wieder davon abwendete.
Ich habe dir nie von diesen dunklen Tagen erzählt, Tabitha, als ich viel jünger war. Achor Achor weiß auch nichts Genaues darüber, und wären er und ich damals zusammen gewesen, wäre ich vielleicht nicht so tief gefallen. Wir waren in Golkur getrennt worden, obgleich wir beide auf dem Weg nach Kenia waren, nach Kakuma. Wir waren auf derselben Straße unterwegs, aber im Abstand von einigen Tagen. Das letzte Mal hatte ich Achor Achor im Zelt von Save the Children gesehen, wo er wegen Dehydrierung behandelt worden war. Ich war feige gewesen. Ich dachte, er würde bestimmt sterben, und ich konnte es nicht ertragen. Ich lief weg, ohne mich zu verabschieden. Ich verließ das Camp mit einer anderen Gruppe, wollte fort von seinem bevorstehenden Tod, dem ganzen Sterben, und so zog ich mit einer der ersten Gruppen hinaus in den Wind und die Wüste, die uns in Kenia erwarteten.
In den letzten Tagen meiner Wanderung, Tabitha, wanderte ich in Dunkelheit. Meine Augen waren beinahe vollständig zugeschwollen, und ich ging blind, versuchte meine Füße zu heben, um nicht zu straucheln, merkte aber, dass ich sie kaum noch über den Schotter schleifen konnte. Mir war schwindelig vor Erschöpfung und Orientierungslosigkeit, genau wie heute Morgen, Tabitha, wo ich geschlagen worden bin und du mir fehlst. Jene Nacht, als ich noch so jung war und marschierte, schien ein guter Zeitpunkt zum Sterben zu sein. Ich konnte weiterleben, ja, aber meine Tage wurden immer schlechter, nicht besser. Mein Leben in Pinyudo war über die Jahre schlechter geworden, und Achor Achor war tot, wie ich fürchtete. Und jetzt das, dieser Marsch nach Kenia, das keine Verheißungen versprach. Ich erinnerte mich an meine Vorstellungen von Äthiopien, an die Häuser und Wasserfälle, und an meine Enttäuschung, nachdem wir die Grenze überquert hatten und nur die gleiche Trostlosigkeit vorfanden, von der wir doch glaubten, wir hätten sie hinter uns gelassen. Viele Jahre lang hatte Gott Jungen wie uns eine klare Botschaft gesandt. Unser Leben war nicht viel wert. Gott hatte zahllose Arten gefunden, Jungen wie mich zu töten, und er würde zweifellos noch viele weitere finden. Kenias Führung konnte gestürzt
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