Weit Gegangen: Roman (German Edition)
als nur eine Hose mitnehmen!, polterte Gop eines Abends beim Essen. Achor Achor aß mit uns, was er häufig tat, weil Gop kochen konnte und Achor Achor nicht.
– Mehr Waren, mehr Ziegen!, rief Gop. – Du solltest richtig in die Vollen gehen, wenn du schon dein Leben und alles riskierst.
Von da an nahm der Plan immer größere Dimensionen an: Ich würde zwei Hemden, eine Hose und eine Decke mitnehmen, alles neu oder fast neu, und damit würde ich mindestens drei Ziegen erstehen können, die in Kakuma Town sechstausend Shilling bringen würden, ein Betrag, der Gops Familie für viele Monate mit allem Notwendigen und sogar einigen Luxusgütern wie Zucker und Butter versorgen würde. Das Geld und die zusätzliche Lebensmittelkarte würden mich in der Familie zum Helden machen, und ich träumte davon, meine zukünftigen Schwestern zu beeindrucken, die alle bewundernd zu mir aufblicken und mich Onkel nennen würden.
– Du könntest einen eigenen Laden aufmachen, sagte Achor Achor eines Abends.
Er hatte recht. Der Gedanke gefiel mir sofort, und danach wurde auch das Teil des Plans. Ich hatte schon lange einen kleinen Einzelhandel eröffnen wollen, einen Stand vor meiner Unterkunft, wo ich Lebensmittel verkaufen würde sowie Kugelschreiber, Bleistifte, Seife, Schuhe, Trockenfisch und Limonade, falls ich welche auftreiben konnte. Alle, die mich kannten, vertrauten mir, daher war ich sicher, dass ich Erfolg haben würde, wenn ich meine Waren zu fairen Preisen anbot, und wenn ich erst mal ein bisschen Kapital hatte, würde es kein Problem sein, das Warenangebot aufzustocken. Ich erinnerte mich an den Laden meines Vaters in Marial Bai, von dem ich gelernt hatte, dass Kundenkontakte in solchen Dingen das A und O waren.
– Aber dann brauchst du mehr als zwei Hemden und eine Hose, stellte Achor Achor fest. – Dann brauchst du zwei Hosen, drei Hemden und mindestens zwei Decken, aus Wolle.
Endlich wurde der Plan konkret. Ich würde bei nächster Gelegenheit aufbrechen, sobald die Straßen wieder als sicher galten. Ich bekam einen Rucksack von Gops Cousin, ein robustes Vinylteil mit Reißverschlüssen und vielen Fächern. Da hinein packte ich die zwei Hosen, die drei Hemden, die Wolldecke, einen Beutel Nüsse und Kräcker und Erdnussbutter für die Reise. Ich hatte vor, früh am Morgen aufzubrechen, um mich aus Kakuma IV zu schleichen und dann die knappe Meile bis zur Hauptstraße nach Loki zu gehen, der ich weiter folgen würde, immer auf der Hut vor kenianischer Polizei, Campwachen und vorbeifahrenden Autos.
– Du kannst nicht tagsüber los!, seufzte Gop, als er sich diesen Teil des Plans anhörte. – Du brichst nachts auf, du Dummkopf.
Also wurde der Plan wieder geändert. Nachts würde mich niemand sehen. Kakuma durfte offiziell nur mit einem beglaubigten Reisedokument für Flüchtlinge verlassen werden. Aber ich hatte keinen legitimen Reisegrund vorzuweisen, und selbst wenn ich einen gehabt hätte, konnte es Monate dauern, bis ein entsprechender Antrag bewilligt wurde. Wenn ich Kontakte zur UN-Flüchtlingsorganisation gehabt hätte, würde mein Antrag vielleicht schneller bearbeitet werden, aber ich kannte dort niemanden so gut, dass er bereit gewesen wäre, ein Risiko für mich einzugehen.
Damit blieb nur ein Mittel, das beliebteste und effektivste, nämlich die Bestechung der kenianischen Wachen an der Straße. Kakuma war nie ein geschlossenes Lager gewesen, die Flüchtlinge konnten das Lager verlassen, wenn sie wollten, doch sie wurden kurz darauf auf der Hauptstraße von der kenianischen Polizei gestoppt, die dort Posten bezogen hatte und in Landrovern unterwegs war, und dann mussten sie ein Reisedokument vorweisen können. Ein Flüchtling ohne entsprechende Papiere musste dem jeweiligen Polizisten dann schon einen angemessenen Anreiz bieten, ein Auge zuzudrücken. Nächtliches Reisen war aus dem simplen Grund empfehlenswert, dass nachts weniger Polizei unterwegs war und die Beamten, die in der Nachtschicht eingesetzt wurden, meist nicht ganz so korrekt vorgingen.
So war ich endlich bereit zum Aufbruch. Aber zunächst würden wir auf Gops Familie warten, um sicherzugehen, dass sie noch immer aus drei Töchtern und einer Frau bestand. Obwohl sie schon Monate zuvor die Nachricht geschickt hatten, dass sie gemeinsam eintreffen würden, gab es im Sudan für nichts Garantien. Gop und ich sprachen nicht darüber, aber wir wussten, dass dem so war. Auf einer so langen Reise kann alles passieren.
Als sie dann
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