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Weit Gegangen: Roman (German Edition)

Weit Gegangen: Roman (German Edition)

Titel: Weit Gegangen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dave Eggers
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uns zufrieden. Wir wurden zu einem Treffen nach Khartoum gerufen, und wir folgten willig, wir Dummköpfe. Wir hatten Vertrauen, und wir hätten kein Vertrauen haben sollen. Werden wir aus diesem Krieg, aus der Geschichte des Landes denn nie Lehren ziehen? Wir hatten Vertrauen! Unsere Großväter hatten Vertrauen und deren Großväter hatten Vertrauen, und schaut, wohin uns das geführt hat.
    Die Stimme des Häuptlings hob sich und klang auf einmal brüchig und zittrig. Ich erinnerte mich an die Geschichte von den Häuptlingen, die ursprünglich versucht hatten, den Südsudan mit dem Norden unter einen Hut zu bringen, ein Fehler, den die meisten inzwischen bereuten.
    – Wir waren also stolz, ja, und wir gingen hin. Alle achtundsechzig Nuba-Häuptlinge erschienen zu dem Treffen. Einige Häuptlinge waren viele Tage unterwegs gewesen, um dorthin zu gelangen, manche waren zu Fuß gekommen. Als wir ankamen, wurde uns klar, dass wir nicht herbestellt worden waren, um mit Regierungsvertretern zu sprechen. Es war ein Trick gewesen. Wir alle, die Häuptlinge aus Dutzenden von Dörfern, wurden auf Lastwagen verfrachtet und in ein neues Gefängnis gebracht, ein ehemaliges Krankenhaus. Ich war als junger Mann einmal in dem Krankenhaus gewesen. Sie hielten uns zwei Tage lang in zwei kleinen Räumen gefangen, mit kaum etwas zu essen und zu trinken. Wir verlangten unsere Freilassung. Wir dachten, wir seien vielleicht einer kleinen Gruppe von ausgestoßenen Regierungssoldaten auf den Leim gegangen. Wir stellten uns vor, dass die Regierung, die diese Konferenz anberaumt hatte, empört auf unsere Gefangennahme reagieren und einschreiten würde. Aber nicht alle Häuptlinge waren so optimistisch.
    Ich schaute mich um, und die Gesichter der Jungen im Raum schienen das Schicksal der versammelten Häuptlinge bereits zu ahnen. Schon jetzt waren sie zum Kampf bereit. Achor Achors Gesicht war zornverzerrt.
    – Wir versuchten, mit den Wachen zu verhandeln, erklärten ihnen, dass wir Stammeshäuptlinge waren, die kein Verbrechen begangen hatten. Ihr seid Feinde der Regierung, und das ist Verbrechen genug, sagte ein Wachmann. Da wussten wir, dass unsere Zukunft gefährdet war. Aber wir dachten, sie würden uns schlimmstenfalls in eine Art Friedensdorf für Häuptlinge schaffen – vielleicht in ein strengeres, vielleicht nur getrennt von unserem Volk. Wir machten uns darauf gefasst, dort über Jahre festgehalten zu werden, sogar bis zum Ende des Krieges. Aber die Regierung hatte andere Pläne. Mitten in der Nacht trieben sie uns aus dem Krankenhausgefängnis hinaus in die Dunkelheit. Wir wurden auf Armeelastwagen verfrachtet, und als wir hinten auf der Ladefläche saßen, bekamen wir es schließlich mit der Angst. Sie hatten uns die Hände auf den Rücken gefesselt, und wir fühlten uns völlig hilflos. Im Lastwagen versuchten wir, einander beizustehen, versuchten unsere Fesseln zu lösen. Aber der Lastwagen fuhr über eine holprige Bergstraße, und es war stockdunkel. Wir konnten nichts sehen, und weil die Straße kurvig und schlecht befestigt war, wurden wir hin und her geschleudert. Außerdem müsst ihr bedenken, dass viele Häuptlinge alte Männer waren und nicht besonders stark. So stand es also um uns: Wir waren die Häuptlinge der Nuba, und wir waren nicht in der Lage, uns gegenseitig zu helfen. Es war beschämend.
    Achor Achor hatte Tränen in den Augen und schüttelte langsam den Kopf.
    – Bald darauf hielt der Lastwagen an. Raus mit ihnen!, schrie ein Offizier. Wir stiegen einer nach dem anderen aus dem Lastwagen, und schon bald verloren die Soldaten die Geduld. Sie warfen die letzten Häuptlinge aus dem Lastwagen, und einer von diesen Häuptlingen, ein sehr alter Mann, stürzte schwer auf die Straße, weil seine Hände gefesselt waren. Als alle auf der Straße waren, mussten wir losmarschieren. Es war Halbmond und sehr hell. Wir sahen die Gesichter der Soldaten, und unter ihnen sah ich einen Dinka. Ich erinnere mich daran, dass ich ihn sehr lange anblickte, weil ich verstehen wollte, was mit ihm geschehen war. Ich vermutete, er war Muslim geworden und hatte sich einreden lassen, wir seien Feinde seines Landes und seines Glaubens. Dennoch, ich glaubte zu sehen, dass er den Blick von uns abwandte. Ich dachte, dass er sich vielleicht schämte. Aber vielleicht bildete ich mir das auch nur ein. Ich wünschte mir, dass er sich schämte, aber womöglich war er genauso überzeugt von seiner Aufgabe wie die anderen Soldaten.
    Achor Achor war

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