Weit Gegangen: Roman (German Edition)
Männer, die zur Schule gingen oder einfach untätig im Lager lebten, mit wechselnder Intensität, ob sie sich melden sollten, entweder, um die erlahmenden Kräfte der Rebellenarmee zu stärken oder um dabei zu sein, wenn der Erfolg zum Greifen nah war.
Als wüssten sie genau, wie es in den Köpfen der Männer meines Alters aussah, traf eines Tages eine Phalanx von Soldaten und Kommandanten in Kakuma ein, um möglichst viele junge Männer zu rekrutieren. Offiziell gab es im Lager keine SPLA-Vertreter, aber ehemalige und aktive Offiziere konnten sich dort ungehindert bewegen. Sie kamen mit genügend Mannschaftswagen, um Hunderte junge Männer mitzunehmen, falls sie sie überreden konnten, das Camp zu verlassen und in den Sudan zurückzukehren, um dort zu kämpfen.
Eines Abends wurde für zehn Uhr eine Versammlung in einem Gebäude anberaumt, das aus Wellblech und Lehm bestand. Fünf SPLA-Offiziere saßen an einem Tisch, vor ihnen zweihundert junge Männer, die man aufgefordert und unter Druck gesetzt hatte, an dieser Informationsveranstaltung teilzunehmen. Die SPLA stand bei vielen jungen Männern in einem sehr schlechten Ruf, daher betrachteten viele die Versammlung mit der gebotenen Skepsis. Einige fühlten sich verraten, weil die SPLA im nördlichen Bahr al-Ghazal zwar zahlreiche Rekruten eingezogen, aber wenig unternommen hatte, um das Gebiet gegen Angriffe zu schützen. Andere waren dagegen, dass die SPLA Kindersoldaten einsetzte, während wieder andere einfach nur unzufrieden damit waren, dass es so lange dauerte, den Krieg gegen die sudanesische Regierung zu gewinnen. Und so gingen Achor Achor und ich und alle jungen Männer, die wir kannten, an jenem Abend, zum Teil aus reiner Neugier, zu der Versammlung, weil wir wissen wollten, was sie zu sagen hatten und welche Argumente sie vorbringen würden, um uns davon zu überzeugen, dass wir zu den Waffen greifen und die weitgehende Sicherheit des Lagers verlassen sollten. Der Raum war überfüllt, und während Achor Achor weit vorne einen Platz fand, ging ich leer aus und stellte mich ans Fenster. Und obwohl der Raum an dem Abend voll war, hielten doch viele der jungen Männer möglichst großen Abstand. Viele Jahre lang hatte die SPLA angeordnet, dass Deserteure auf der Stelle exekutiert werden sollten, und in Kakuma gab es zweifellos eine große Anzahl von Deserteuren.
Der Offizier, der an dem Abend das Sagen hatte, ein untersetzter, herrisch wirkender Mann namens Santo Ayang, kam herein, setzte sich an den blauen Holztisch vor uns und sprach diesen Punkt gleich als Erstes an.
– Falls hier Jungen sind, die die Armee verlassen haben, keine Sorge, sagte er. – Die Vorschriften zum Umgang mit Deserteuren haben sich geändert. Ihr werdet straflos wieder in die Armee aufgenommen. Bitte sagt das auch euren Freunden.
Das erntete zustimmendes Gemurmel im Publikum.
– Wir sind eine neue SPLA, eine geeinte SPLA, sagte Kommandant Santo. – Und wir sind siegreich. Wir haben bei Yambio gesiegt, Kaya, Nimule und Rumbek. Jetzt kontrollieren wir die Mehrheit aller Schlüsselstellen im Südsudan, und wir müssen die Aufgabe nur noch zu Ende bringen. Ihr habt die Wahl, Jungen … Nun ja, ihr seid keine Jungen mehr. Viele von euch sind Männer, und ihr seid stark und gebildet. Und jetzt habt ihr eine Wahl. Wie viele von euch jungen Männern wollen für den Rest des Lebens in Kakuma bleiben?
Keiner von uns hob die Hand.
– Also dann. Was glaubt ihr, wie ihr von hier wegkommen wollt?
Niemand sagte ein Wort.
– Ich vermute, ihr wollt nach Hause zurückkehren, wenn der Krieg gewonnen ist. Aber wie soll dieser Krieg gewonnen werden? Wer wird ihn gewinnen? Wer kämpft in diesem Krieg? Das frage ich euch. Ihr seid hier in Kakuma, ihr bekommt Essen, kauft euch teure Schuhe …
An dieser Stelle zeigte er auf einen Jungen, der in einer Ecke auf einem Stuhl stand. Er trug neue Turnschuhe aus makellosem Kunstleder, knochenweiß.
– Und ihr wartet hier in Sicherheit, bis wir die Arbeit getan haben. Dann wollt ihr heimkehren und von unserem vergossenen Blut profitieren. Ich entnehme eurem Schweigen, dass das tatsächlich euer Plan ist. Es ist ein raffinierter Plan, zugegeben, aber denkt ihr denn, wir sind eine Armee von Hasen und Frauen? Wer kämpft in diesem Krieg, frage ich euch? Männer kämpfen in diesem Krieg, und es ist mir egal, ob sie euch in diesem Lager hier Lost Boys nennen. Ihr seid Männer, und es ist eure Pflicht zu kämpfen. Wenn ihr nicht kämpft, ist der Krieg
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