Weit Gegangen: Roman (German Edition)
TV-Boy.
– Nein, nein, sagt sie. – Das ist nicht nötig. Du kannst einfach …
Aber ich bin schon weg. Ich fliege. Mein Lächeln wird breiter, während ich renne, während ich mir vorstelle, wie begeistert sie von meinem Tempo sein wird, dem unglaublichen Tempo, mit dem ich ihre Bitte erfüllen werde, und mein Lächeln erstirbt erst, als mir auf halbem Weg zum Fluss einfällt, dass ich keinen Behälter habe, um das Wasser zu transportieren.
Ich ändere die Richtung, laufe auf den Markt, hinein in die Menge von Händlern und Käufern, schlängele mich so schnell zwischen den zahllosen Menschen hindurch, dass sie nur noch meinen Wind spüren. Ich stürme an den kleinen Werkstätten vorbei, an den Wein trinkenden Männern auf den Bänken, an den Alten, die Domino spielen, an den Restaurants und den Arabern, die Kleidung und Teppiche und Schuhe verkaufen, an den Zwillingsschwestern Ahok und Awach Ugieth, zwei sehr lieben und schwer arbeitenden Mädchen in meinem Alter, die Brennholzbündel auf dem Kopf tragen, Hallo, Hallo, sagen wir, und endlich betrete ich die Dunkelheit im Laden meines Vaters, völlig außer Atem.
– Was ist los?, fragt er. Er hat die Sonnenbrille auf, die er jeden Tag trägt, tagsüber und auch nachts. Er hat eine junge Ziege gegen die Brille eingetauscht, und deshalb behandelt er sie mit ebenso großer Behutsamkeit und Achtung wie seine beste Kuh.
– Ich brauche einen Becher, bringe ich keuchend hervor. – Einen großen Becher. Meine Augen suchen den Laden nach einem passenden Gefäß ab. Es ist ein großer Laden für unsere Gegend, so groß, dass er sechs oder sieben Personen Platz bietet, und er hat zwei gemauerte Wände und ein Wellblechdach. Es gibt zahllose Dinge zur Auswahl, und mein Blick huscht über die Regale wie ein Spatz, der sich in einen geschlossenen Raum verflogen hat. Schließlich schnappe ich mir einen Messbecher, der hinter der Theke steht.
– Bei deinem Tempo kommst du damit nicht weit, sagt mein Vater mit einem Schmunzeln in den Augen. – Da verschüttest du die Hälfte, ehe du wieder bei ihr bist.
Woher wusste er Bescheid?
– Denkst du, ich bin blind?, sagt mein Vater und lacht. Mein Vater ist bekannt für seinen Humor, dafür, dass er auch bei mittleren Katastrophen immer noch einen Grund zu lächeln findet. Und sein Lachen erst! Es dröhnt, lässt seine Schultern und den Bauch erbeben und treibt ihm Tränen in die Augenwinkel. Deng Arou findet selbst eine Überschwemmung noch lustig, sagen die Leute, und das ist liebevoll gemeint. Seine Ruhe und Ausgeglichenheit zählen mit zu den Gründen für seinen Erfolg, vermutet man. Schließlich gehören ihm nicht von ungefähr fünfhundert Rinder und zwei Läden.
Er greift ganz oben ins Regal und reicht mir einen kleinen Plastikkanister mit Verschluss. – Der müsste groß genug sein, mein Sohn. Amath wird sich bestimmt sehr freuen. Aber denk dran …
Mehr bekomme ich nicht mehr mit. Ich flitze schon wieder über den Markt, vorbei an den Ziegen, die am Rand der Marktstraße eingepfercht sind, vorbei an den alten Frauen und ihren Hühnern und weiter zum Fluss. Ich fliege an den Jungen vorbei, die Fußball spielen, und am Hof meiner Tante Akol – ich kann nicht einmal in ihre Richtung blicken, um zu sehen, ob sie draußen ist – und renne den holprigen Pfad hinunter, den Pfad aus fester Erde, der von ganz hohem Gras gesäumt wird.
Ich schaffe es schneller bis zum Fluss als je zuvor, und sobald ich an der niedrigen Uferböschung angelangt bin, springe ich an den angelnden Jungen und Wäsche waschenden Frauen vorbei und bis in die tiefe Mitte des schmalen Wasserlaufs.
Die Frauen und die Jungen sehen mich alle an, als hätte ich den Verstand verloren. Hab ich das? Pitschnass lächele ich ihnen zu und tauche meinen Kanister in das milchig braune Wasser. Ich fülle den Behälter, aber ich bin unzufrieden, weil jetzt so viel Sand im Wasser ist. Ich muss es filtern, aber dafür brauche ich zwei Behälter.
– Kann ich bitte deine Schüssel haben?, frage ich eine der Waschfrauen. Ich staune über meine eigene Courage. Ich habe noch nie mit der Frau gesprochen, und dann bemerke ich, dass es die Frau des Hauptlehrers der höheren Schule ist, der Dut Majok heißt und den ich nur dem Namen nach kenne. Ich habe gehört, die Frau von Dut Majok sei ebenso gebildet wie er und habe eine spitze Zunge. Sie könne gemein sein. Sie lächelt mich an, nimmt die Hemden heraus, die sie gerade wäscht, und reicht mir die Schüssel. Sie
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