Weit Gegangen: Roman (German Edition)
schauspielere ein bisschen, in Erinnerung an alte Zeiten.
»Was ist passiert? Was ist los? Ist dein Baby noch krank?«
Ich weiß, dass sein Baby nicht krank ist und auch nicht krank war, aber ich bin doch verblüfft, als er diesen Teil seiner Geschichte aufgibt.
»Nein, es geht nicht um die Kleine. Der geht’s wieder gut. Es geht um was Dummes, das ich am Wochenende gemacht habe. Vor zwei Wochen. Du weißt, wovon ich rede.«
Es ist seltsam, dass er immer versucht, das Wort »Glücksspiel« zu vermeiden, als wolle er unser Gespräch nicht mit diesem Wort beschmutzen. Aber ich lasse nicht locker, und schließlich gesteht er, was ich schon in dem Moment wusste, als ich seine Stimme auf meiner Mailbox hörte. Daniel verlässt Frau und Tochter manchmal tagelang, um in das fünfundvierzig Minuten entfernte Indianerreservat zu fahren, wo sich sein Lieblingskasino befindet. Dort hat er in den letzten sechs Monaten insgesamt 11 400 Dollar verspielt. Wir alle, die ihn kennen, haben alles Mögliche versucht, um ihm zu helfen, aber nichts hat geklappt. Eine Zeit lang machten einige von uns den Fehler, ihm einfach Geld zu geben. Von mir bekam er zweihundert Dollar, mehr konnte ich nicht aufbringen, und das auch nur, weil er mir sagte, seine Krankenversicherung käme nicht für das Kind auf und er müsse die Kosten der Geburt selbst bezahlen. Damals gaben ihm Amerikaner aus seiner Kirche und Sudanesen aus dem ganzen Land Geld, und erst später erfuhren wir, dass das mit der Versicherung nicht stimmte und dass jeder Cent von den 5 300 Dollar, die er von achtundzwanzig von uns erhalten hatte, ins Kasino gewandert war. Seitdem fragt er immer wieder bei denjenigen von uns an, die vielleicht noch etwas springen lassen würden. Heute früh versucht er es mit der Masche, endlich geheilt zu sein und neu anfangen zu wollen.
»Jetzt ist Schluss damit, Dominic. Ich bin die Sucht endlich los.«
Noch immer meidet er die Worte »Glücksspiel« oder »Blackjack«. Ich höre ihm zehn Minuten lang zu, und er bringt die Worte nicht über die Lippen.
»Wenn ich das nicht zahlen kann«, sagt er und verstummt dann kurz. »Muss ich vielleicht … Schluss machen. Einfach aufgeben, verdammt. Alles.«
Zuerst verstehe ich nicht, was er sagt. Mit dem Glücksspiel Schluss machen? Doch dann begreife ich. Aber ich weiß, dass das eine leere Drohung ist. Daniel ist vermutlich der letzte Mensch, dem ich zutrauen würde, sich das Leben zu nehmen. Dafür ist er zu eitel und zu klein. Seine Drohung hängt eine Weile in der Luft, und dann beschließe ich, den Trumpf endlich auszuspielen, den ich die ganze Zeit auf der Hand habe.
»Daniel, ich wünschte, ich könnte dir helfen, aber ich bin letzte Nacht überfallen worden.«
Und dann erzähle ich ihm die ganze Geschichte, alles, was ich durchgemacht habe, von Anfang an. Obwohl ich weiß, dass er ein Egozentriker ist, erstaunt es mich dennoch, wie wenig Interesse er zeigt. Die ganze Zeit über gibt er kurze Laute von sich, um zu signalisieren, dass er zuhört, aber er fragt nicht, wie es mir geht oder wo ich jetzt bin, warum ich morgens um 5.26 Uhr wach bin. Aber ihm ist offensichtlich klar, dass er mich nicht weiter um Geld bitten kann. Er will das Telefonat nur noch beenden, weil er seine Zeit mit mir vertut, wo er doch darüber nachdenken muss, wen er als Nächsten anruft.
Viele haben uns als gescheitertes Experiment abgeschrieben. Lange Zeit waren wir darauf festgelegt, die Bilderbuchafrikaner zu sein. Man lobte uns für unseren Fleiß und unsere guten Manieren und vor allem für die Stärke unseres Glaubens. Die Kirchen liebten uns, und die von ihnen finanzierten und kontrollierten Politiker schmückten sich mit uns. Inzwischen jedoch hat die Begeisterung stark nachgelassen. Wir haben die Geduld zu vieler unserer Wohltäter überstrapaziert. Wir sind junge Männer, und junge Männer neigen zum Laster. Unter den viertausend gibt es so manche, die sich mit Prostituierten eingelassen haben, die Wochen und Monate an Drogen verloren, noch sehr viel mehr, die ihr Feuer im Alkohol erstickten, Dutzende, die zu unbegabten Glücksspielern und Schlägern geworden sind.
Eine Geschichte, die alle endgültig desillusionierte, machte überall die Runde und ist leider Gottes wahr: Vor nicht allzu langer Zeit waren drei sudanesische Männer, die ich alle aus Kakuma kannte, abends in Atlanta auf Zechtour. Sie tranken in namenlosen Bars und später auch auf der Straße, sodass sie schließlich wach und berauscht waren,
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