Weit Gegangen: Roman (German Edition)
zu Fuß von seiner Heimatstadt Seattle nach Tucson, Arizona zu gehen.
»Achak, ich will das machen, und ich weiß, dass es etwas bewirken kann. Denk drüber nach! Was, wenn wir alle gemeinsam wieder marschieren würden? Was, wenn wir alle zusammenkommen und wieder marschieren, diesmal auf Straßen und vor den Augen der ganzen Welt? Würde das die Menschen nicht aufrütteln? Wir könnten die Menschen wirklich dazu bringen, über Darfur nachzudenken, darüber, was es bedeutet, vertrieben und gejagt zu werden und einer ungewissen Zukunft entgegenzugehen, oder etwa nicht? Ruf mich zurück, wenn du kannst. Ich möchte, dass du dabei bist.«
Es entsteht eine Pause, und es scheint, als habe Moses den Hörer weggelegt. Dann ein Poltern, und er hebt ihn hastig wieder ans Ohr.
»Und das mit Tabitha tut mir furchtbar leid. Achak, es tut mir ehrlich leid. Du wirst ein anderes Mädchen finden, das weiß ich. Du bist ein sehr begehrenswerter Mann.« Er stockt und stellt dann klar: »Das heißt, für Frauen, nicht für mich. Ich finde dich nicht begehrenswert, nicht so, Weit Gegangen.«
Er lacht leise, als er auflegt.
XXV.
»Da bist du ja!«
Ich stoße die Eingangstür zum Century Club auf und werde von Ben, dem Hausmeister, begrüßt. Er ist ein dünner Mann mit kleinen Händen und großen mitfühlenden Augen und einer hohen gewölbten Stirn.
»Hallo, Ben«, sage ich.
»Mannomann, du siehst aber kaputt aus, mein Junge.« Er legt sein Klemmbrett auf die Theke und kommt auf mich zu, nimmt mein Gesicht in beide Hände. »Was hast du gemacht? Du siehst aus, als hättest du seit Wochen nicht mehr geschlafen. Und das da!« Er berührt die Wunde an meiner Stirn. »Und deine Lippe!«
Er hält mein Gesicht fest und inspiziert jede Pore.
»Hast du dich geprügelt?«
Ich seufze, und er fasst das als ein Ja auf. Er lässt mein Gesicht los und blickt mich tadelnd an.
»Warum müsst ihr Sudanesen euch dauernd prügeln?«
Ich streiche ihm über die Schulter und gehe weiter. Ich habe keine Lust zu erklären, was mir passiert ist. Ich muss mich waschen.
»Sprich mich mal an, wenn du dich frisch gemacht hast, ja?«, ruft er mir nach.
Im Umkleideraum bin ich allein. Ich nehme ein sauberes weißes Handtuch von dem Stapel neben der Tür und öffne meinen Spind. Die Schuhe auszuziehen kommt einem Wunder gleich. Meine Füße atmen, ich atme. Gleich fühle ich mich besser. Ich werfe die Schuhe in den Spind und ziehe mich langsam aus. Mir tut alles weh, mein Körper scheint über Nacht um Jahrzehnte gealtert.
Das Wasser ist ein Schock. Als es wärmer wird, lockern sich meine Gliedmaßen und Knochen. Ich schiebe vorsichtig den Kopf unter den Regen und sehe das Blut an meinem Körper hinab und über die Fliesen gleiten. Es ist nicht viel, ein dünner rosa Faden, der Richtung Abfluss rinnt und dann verschwindet.
Im Spiegel sehe ich nicht viel anders aus. Meine Unterlippe ist aufgeplatzt, und von der Wange bis zur Schläfe zieht sich eine sichelförmige Wunde. Ein kleiner roter Fleck bewohnt jetzt den Winkel meines linken Auges, wie ein kleiner Tropfen mitten im Weiß.
Ich ziehe ein T-Shirt an, das fast sauber ist, und die Jogginghose und Turnschuhe, die ich hier im Klub habe. Sobald der Klubladen aufmacht, werde ich mir ein Tennisshirt kaufen und heute tragen. Obwohl ich nicht geschlafen habe, hat schon allein das Umziehen eine Grenze zwischen jenem Tag, jenen Ereignissen und heute gezogen. Ich atme einmal tief die Luft des Raumes ein und fühle mich plötzlich am Ende. Ich falle in den Polstersessel, der in der Ecke steht. Mein Hals ist kraftlos, und das Kinn sackt mir auf die Brust. Einen Moment lang bin ich besiegt. Meine Augen sind geschlossen, und ich sehe nichts – keine Farben, nichts. Ich kann mir nicht vorstellen, je wieder aufzustehen. Es ist, als hätte mein Rückgrat mich verlassen. Ich bin ein Mensch ohne Rückgrat, und irgendwie ist das tröstlich. Ich hänge dieser Idee nach, male mir in Gedanken aus, dass ich für immer zusammengesackt in diesem Sessel verweilen könnte. Einen Moment lang ist die Vorstellung verlockend und scheint mir dann doch weniger überzeugend, als einfach zur Arbeit zu gehen.
Ich schließe meinen Spind und habe mich bald wieder unter Kontrolle. Ich muss in einer Minute vorne am Empfang sein, meine Schicht beginnt um halb sechs.
Als ich die Empfangstheke erreiche, bin ich froh, dass Ben fort ist. Er hält sich mit seinen Ratschlägen und Meinungen für hilfreicher, als er in Wahrheit ist. Wenn er
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