Weit Gegangen: Roman (German Edition)
gehört hatte, überzeugte er mich an dem Tag davon, dass ich einen Platz im ersten Flugzeug nach Amerika zugeteilt bekommen würde. Ich solle anfangen, entsprechend zu planen, sagte er, ich solle mir überlegen, in welcher NBA-Mannschaft ich spielen wollte, weil man mir ganz sicher anbieten würde, Profispieler zu werden. Ich lachte, doch dann fragte ich mich, ob ich tatsächlich mit Basketball mein Geld verdienen könnte. Vielleicht könnte ich für das College spielen, an dem ich irgendwann studieren würde. Jeder halbwegs gute Spieler in Kakuma träumte von dem Tag, an dem er entdeckt und berühmt werden würde, so wie Manute Bol. An dem Tag gönnte auch ich mir einen Moment des Selbstbetrugs.
– Ich sollte dir etwas sagen, sagte Noriyaki, – auch ich verlasse Kakuma. In zwei Monaten. Ich wollte, dass du es als Erster erfährst.
Er sei lange genug hier gewesen, sagte er. Er wollte wieder zu Hause bei seiner Verlobten sein. Und er hatte beschlossen, da nun auch ich fortging, sei der richtige Zeitpunkt gekommen, das Wakachiai Project an das nächste Team zu übergeben. Ich fand es auch richtig. Wir freuten uns beide füreinander, weil wir diese Phase unseres Lebens beendeten und endlich vorankamen, wenn auch auf zwei unterschiedlichen Erdteilen. Wir sprachen den ganzen Tag darüber, wie wir in Kontakt bleiben könnten, wie leicht das sein würde bei unserem neuen, luxuriöseren Lebenswandel. Wir könnten jeden Tag telefonieren oder E-Mails schreiben, in Erinnerungen schwelgen, einander Witze und Fotos schicken. Wir machten zwei Fantas auf, stießen an und tranken.
– Du kommst zu meiner Hochzeit!, sagte er plötzlich, als sei ihm gerade eingefallen, wie naheliegend das doch war.
– Ja!, sagte ich. Dann fragte ich: – Wie?
– Ganz einfach. Du hast ja dann den regulären Immigrantenstatus. Damit kannst du reisen, wohin du willst. Die Hochzeit ist in einem Jahr, Valentino. Wir haben den Termin jetzt festgelegt. Du kommst nach Japan und bist dabei, wenn ich Wakana heirate.
– Ich bin dabei!, sagte ich und glaubte mit ganzem Herzen daran. – Ich bin ganz sicher dabei.
Wir tranken unsere Fanta und kosteten den ganzen Nachmittag die Vorstellung aus, wie luxuriös und großartig das alles werden würde: Flugzeuge, Großstädte, Smokings, Kuchen, Diamanten, Champagner. Der Tag, an dem wir uns als betuchte Männer wiedersehen würden, als lässige, arrivierte Männer mit Geld, schien zum Greifen nah.
In jener Zeit herrschte aus mancherlei Gründen Hochstimmung im Camp, unter anderem weil der Vatikan zum ersten Mal eine sudanesische Märtyrerin heiliggesprochen hatte. Josephine Bakhita, eine ehemalige Sklavin, war in den späten Vierzigerjahren des zwanzigsten Jahrhunderts als Canossianische Schwester in Italien verstorben und war jetzt eine Heilige. Das erstaunte uns alle und machte uns stolz, da viele von uns nicht gedacht hätten, dass Sudanesen überhaupt heiliggesprochen werden konnten. Jeden Tag wurde in der Kirche ihr Name angerufen, und jeder stolze katholische Dinka in Kakuma führte ihn im Munde. Es war eine ungewöhnliche Zeit für uns alle, eine Zeit, in der die Dinka sich stark fühlten, von Gott und von fernen Nationen anerkannt. Eine Frau aus dem Südsudan konnte eine Heilige sein, und die Lost Boys konnten über den Ozean geflogen werden, um den Sudan in Amerika zu vertreten. Wenn das eine möglich war, dann auch das andere. Nichts schien mehr unerreichbar.
Als die ersten Umsiedlungsflüge starteten, gab es in ganz Kakuma Freudenfeiern, und ich ging mit Achor Achor zum Flugplatz, um die Maschinen davonfliegen zu sehen. Ich war überglücklich für diese jungen Männer und glaubte felsenfest, dass ich bald ebenso wie sie in Amerika sein würde. Doch je mehr Jungen ausgeflogen wurden und je länger beinahe unaufhörlich Neuigkeiten über das Glück dieses und jenes Jungen die Runde machten, desto teilnahmsloser wurde ich ihnen gegenüber und konnte mich stattdessen nur fragen, worin meine eigenen Unzulänglichkeiten lagen. Etwa fünfhundert junge Männer brachen in die Vereinigten Staaten auf, und als die Monate ins Land gingen und ich nichts von den UN hörte, freute ich mich immer weniger für die Auserwählten. Nach jeder neuen Bekanntgabe von Namen wurde gefeiert. Familien und Gruppen junger Männer tanzten gemeinsam, wenn ihre Namen auf den Listen erschienen. Maßlose Freude brach jede Woche unter den einen aus und Trübsal unter den anderen.
Ich war noch weit davon entfernt abzureisen.
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