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Weit Gegangen: Roman (German Edition)

Weit Gegangen: Roman (German Edition)

Titel: Weit Gegangen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dave Eggers
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hatte, am Abend von zu Hause wegzukommen. Ich weiß nicht, was sie zu Gop und seiner Frau gesagt hatte, damit die beiden sie in mein Zimmer ließen. Aber nun stand sie unsicher in der Tür, die Arme fest vor der Brust verschränkt.
    – Ich finde, du solltest nicht gehen.
    Ich sagte, dass es mir leidtat, sie zu verlassen, dass ich sie auch vermissen würde.
    – Es geht nicht darum, dass ich dich vermissen werde. Ich meine, das werde ich, Schläfer. Aber ich glaube, Gott hat etwas vor. Er hat Noriyaki geholt, und ich glaube, er hat etwas mit dir vor. Ich habe eine Vorahnung.
    Ich nahm ihre Hand und dankte ihr dafür, dass sie sich Sorgen um mich machte.
    – Ich weiß, was ich sage, hört sich verrückt an, sagte sie. Dann schüttelte sie den Kopf, als wollte sie ihre Bedenken loswerden, so wie sie all ihre Hoffnung aufgegeben hatte. Doch dann wurde ihr Gesichtsausdruck wieder entschlossener, und sie sah mir erneut mit einem bohrenden Blick in die Augen.
    – Geh morgen nicht, sagte sie.
    – Wir sehen uns morgen früh, sagte ich. – Ich komme dich besuchen, und wenn du dann immer noch denkst, ich solle nicht gehen, denken wir noch einmal darüber nach.
    Sie war einverstanden, obwohl sie mir nur halb glaubte. Sie schlich sich aus meiner Unterkunft, und ich sah sie nie wieder. Ich verriet ihr nicht, dass ich ihre Sorgen teilte, dass meine eigenen Ängste viel unmittelbarer und lebhafter waren als ihre. Ich sagte es niemandem, aber ich war mir ziemlich sicher, dass auf dieser Reise irgendetwas passieren würde. Doch ich konnte einfach nicht mehr im Lager bleiben. Ich war seit fast zehn Jahren in Kakuma, und ich wollte mein Leben nicht dort beschließen. Daher war ich bereit, jedes Risiko einzugehen.
    Nach acht Uhr morgens wird es in der Lobby des Century Club totenstill. Die Mitglieder trainieren hinter der Glasscheibe, auf Steppern, Laufbändern und an Kraftmaschinen, und ich schaue ihnen zu und überlege, was ich an meinem eigenen Programm ändern könnte. Vor zwei Monaten habe ich angefangen, manchmal nach meiner Schicht zu trainieren. Die Managerin, eine kleine, muskulöse Frau namens Tracy, hat mir fünfzig Prozent Rabatt für eine Teilmitgliedschaft zugesagt, und diese Gelegenheit habe ich genutzt. In diesen zwei Monaten habe ich fast vier Pfund zugenommen, und ich glaube, ich habe meinen Brust-und Bizepsumfang vergrößert. Ich will nie wieder in den Spiegel schauen und das Insekt sehen, das ich einmal war.
    Eine neue Frau betritt den Klub, eine, die ich noch nie gesehen habe. Sie ist weiß, sehr dick und ungemein würdevoll. Sie scheint erstaunt, mich zu sehen.
    »Hallo«, sagt sie. »Sie kenne ich noch gar nicht. Sie haben aber ein nettes Lächeln.«
    Ich versuche, finster zu blicken, hartherzig zu erscheinen.
    »Ich bin Sidra«, sagt sie und reicht mir die Hand. »Ich bin neu. Ich war erst zweimal hier. Ich versuche, na ja, ein bisschen was zu ändern.« Sie blickt verlegen nach unten auf ihre Leibesfülle, und ich habe sofort das Gefühl, dass ich etwas sagen sollte. Ich möchte, dass sie sich besser fühlt. Ich möchte, dass sie das Gefühl hat, gesegnet zu sein. Sie soll wissen, dass sie gesegnet ist. Jetzt hier zu sein, am Leben zu sein wie sie, immer schon in diesem Land gelebt zu haben, Sidra, du bist gesegnet.
    Sie reicht mir ihre Karte, und ich ziehe sie durchs Lesegerät. Ihr Bild erscheint, ihr trauriges schiefes Lächeln, und sie geht in die Sporthalle.
    Am letzten Morgen stand ich um vier Uhr früh auf, Sidra, damit auch ganz sicher noch keine Schlange an der Wasserpumpe war. Und tatsächlich, als ich dort ankam, hatte sich noch keine Schlange gebildet, was ich als gutes Omen betrachtete. Ich trug Wasser nach Hause und duschte. Als ich aus der Duschkabine trat, sah ich Deng Luol, der meine Matratze gebucht hatte, in der Tür stehen.
    – Es ist noch nicht mal hell, sagte ich.
    – Ich habe noch nie eine Matratze gehabt, sagte er. – Ich bin verheiratet, und meine Frau würde sich sehr über eine freuen. Damit werde ich ein Held für sie.
    Er wünschte mir eine gute Reise und verschwand mit der Matratze auf dem Kopf.
    Ich zog meine frischen neuen Sachen an und packte meine übrigen Habseligkeiten in eine Plastiktüte. Ich hatte nur meine Waschsachen, einmal Kleidung zum Wechseln und meine Dokumente. Mehr nicht.
    Allmählich wachten die anderen im Haus auf und alle weinten.
    – Mach die Sudanesen stolz, sagte Gop.
    – Das werde ich, sagte ich. Und in diesem Augenblick glaubte ich wirklich, dass

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