Weit Gegangen: Roman (German Edition)
verlieren würden, sagte der junge Mann. – Aber das Land der Dinka scheint für Khartoum keine große Liebe zu empfinden. Sie könnten hier auf Unterstützung stoßen.
– Niemals, sagte Sadiq.
– Diesmal nicht, fügte mein Vater hinzu. – Wir wissen, was so etwas kostet. So ein Bürgerkrieg. Wenn wir den noch einmal erleben, erholen wir uns nie mehr davon. Das wäre das Ende.
Die Männer schienen seine Einschätzung zu teilen, und wieder trat Stille ein, nur durchbrochen von ihren Ess-und Trinkgeräuschen und den Lauten der Tiere, die den Wald zurückerobern, wenn die Nacht kommt.
– Wie wäre es denn mit einer Geschichte, Vater Arou?, sagte Sadiq. – Erzähl uns die vom Anbeginn der Zeit. Die höre ich immer wieder gern.
– Nur weil du weißt, dass sie wahr ist, Sadiq.
– Ja. Genau. Ich werfe den Koran weg und übernehme deine Geschichte.
Die Männer lachten und baten um seine Geschichte. Mein Vater erhob sich und begann, die Geschichte so zu erzählen, wie er sie immer erzählte.
– Als Gott die Welt erschuf, machte er zuerst uns, die Monyjang. Ja, zuerst erschuf er den Monyjang, den ersten Menschen, und er machte ihn größer und stärker als alle Menschen unter dem Himmel …
Ich kannte die Geschichte gut, aber ich hatte noch nie gehört, wie mein Vater sie in Anwesenheit von Männern erzählte, die keine Dinka waren. Ich betrachtete die Gesichter der Araber und hoffte, dass sie nicht in ihren Gefühlen verletzt würden. Alle schmunzelten, als hörten sie irgendeine Sage und nicht die wahre Schöpfungsgeschichte.
– Ja, Gott machte die Monyjang groß und stark, und er machte ihre Frauen schön, schöner als irgendein anderes Geschöpf auf der Erde.
Ein kurzes beifälliges Gemurmel ertönte, diesmal etwas kehliger, und die Araber fielen mit ein, gefolgt von allgemeinem Gelächter. Sadiq stupste mich an und grinste mich von oben an, und auch ich lachte, obwohl ich eigentlich nicht wusste, warum.
– Ja, fuhr mein Vater fort, – und als Gott fertig war und die Monyjang auf der Erde standen und auf Anweisungen warteten, fragte Gott den Menschen: »Nun, da du hier bist, auf dem heiligsten und fruchtbarsten Land, das ich habe, kann ich dir noch etwas schenken. Ich kann dir diese Kreatur schenken, die Kuh genannt wird …«
Mein Vater schaute sich rasch um und verschüttete dabei etwas von seinem Getränk, das im Feuer zischte und eine Rauchwolke aufsteigen ließ. Er blickte in die andere Richtung und entdeckte dort, wonach er gesucht hatte: Er zeigte auf eine Kuh in der Ferne, eine von jenen, die am folgenden Tag auf dem Markt verkauft werden sollten.
– Ja, sprach er weiter, Gott zeigte dem Menschen, was ein Rind ist, und das Rind war prächtig. Es war in jeder Hinsicht genau das, was der Monyjang sich wünschen würde. Der Mann und die Frau dankten Gott für diese Gabe, weil sie wussten, dass das Rind ihnen Milch und Fleisch und jeden nur erdenklichen Wohlstand bringen würde. Aber Gott war noch nicht fertig.
– Das ist er ja nie, sagte Sadiq und wurde mit lautem Lachen belohnt.
– Gott sagte: »Ihr könnt entweder dieses Rind haben, als mein Geschenk an euch, oder ihr könnt das Was haben.« Mein Vater wartete die unvermeidliche Reaktion ab.
– Aber …, sagte Sadiq wie aufs Stichwort mit betont übertriebener Neugier. – Was ist das Was?
– Ja, ja. Das war die Frage. Also erhob der erste Mensch sein Angesicht zu Gott und fragte, was das denn sei, dieses Was. »Was ist das Was?«, fragte der erste Mensch. Und Gott antwortete dem Menschen: »Das kann ich dir nicht sagen. Dennoch musst du wählen. Du musst zwischen dem Rind und dem Was wählen.« Nun denn. Der Mann und die Frau konnten das Rind deutlich vor sich sehen, und sie wussten, wenn sie das Rind hätten, würden sie zu essen haben und in großer Zufriedenheit leben. Sie konnten sehen, dass das Rind Gottes vollkommenste Schöpfung war und dass es etwas Gottähnliches in sich trug. Sie wussten, sie würden in Frieden mit dem Rind leben und das Rind würde ihnen Milch liefern, wenn sie ihm zu essen und zu trinken gaben, es würde sich Jahr um Jahr vermehren und dafür sorgen, dass die Monyjang glücklich und gesund blieben. Daher wussten der erste Mann und die erste Frau, dass es töricht wäre, für die Idee des Was auf das Rind zu verzichten. Also wählte der Mensch das Rind. Und Gott zeigte ihm, dass es die richtige Entscheidung gewesen war. Gott wollte den Menschen prüfen. Er prüfte den Menschen, um zu sehen, ob er zu
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