Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Weit Gegangen: Roman (German Edition)

Weit Gegangen: Roman (German Edition)

Titel: Weit Gegangen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dave Eggers
Vom Netzwerk:
ich ihnen keinerlei Bedeutung bei, für mich waren es Tage, wie alle anderen auch.
    Ich lief durch das dichte Gedränge auf dem samstäglichen Markt zum Laden meines Vaters. Samstags kamen die Lastwagen von der anderen Seite des Flusses, und es boten doppelt so viele Händler ihre Waren an. Die Menschen strömten aus der ganzen Region herbei, denn der Markt von Marial Bai war der größte im Umkreis von hundert Meilen. Als ich wie immer im vollen Lauf den Laden meines Vaters erreichte, prallte ich fast auf die prächtige, makellos weiße Tunika von Sadiq Aziz.
    – Wo hast du denn den ganzen Tag gesteckt?, sagte mein Vater. – Sag Sadiq guten Tag.
    Sadiq legte eine Hand auf meinen Kopf und ließ sie dort liegen. Er war Angehöriger der Baggara, eines arabischen Stammes, der auf der anderen Seite des Ghazal lebte. Die Araber ließen sich häufig an Markttagen und während der Trockenzeit blicken, wenn sie ihr Vieh bei uns weiden ließen. Jahrhundertelang hatte es Spannungen zwischen den Dinka und den Baggara gegeben, meistens wegen der Weidegründe. Die Baggara brauchten den fruchtbareren Boden im Süden, um ihr Vieh dort weiden zu lassen, wenn die Erde im Norden rissig vor Dürre wurde. Normalerweise trafen die Häuptlinge entsprechende Abmachungen, das Miteinander wurde über die Jahre mithilfe von Bündnissen und Zahlungen in Form von Vieh oder anderen Gütern geregelt. Es herrschte Gleichgewicht. Während der Weidezeit und oft auch an Markttagen wimmelte es in Marial Bai von Baggara und anderen Arabern. Sie bewegten sich ganz natürlich zwischen den Dinka, sprachen eine wirre Mischung aus Dinka und Arabisch und waren oft zu Gast in Dinka-Häusern. Es hatten sich sehr gute Beziehungen zwischen den meisten von ihnen und uns entwickelt. In manchen Gebieten gab es Mischehen und Kooperationen und es herrschte gegenseitiger Respekt.
    Mein Vater war beliebt bei den Baggara und den anderen arabischen Kaufleuten. Es war allgemein bekannt, dass er sich alle erdenkliche Mühe gab, die Gunst der arabischen Händler zu gewinnen, manchmal auch mit Humor. Er wusste, dass sein eigener Erfolg zum großen Teil von seinem Zugang zu den Waren abhing, auf die sich die Nordsudaner spezialisiert hatten, daher war er stets darauf bedacht, den Arabern zu zeigen, dass sie in seinen Läden und seinen vier Wänden stets willkommen waren. Sadiq Aziz, ein hochgewachsener Mann mit großen Augen und knochigen, von sehnigen Muskeln durchzogenen Armen, war der Lieblingshändler meines Vaters. Sadiq hatte ein Auge für das Besondere, konnte die ungewöhnlichsten Waren auftreiben: motorbetriebene landwirtschaftliche Geräte, Nähmaschinen, Fischernetze, in China hergestellte Turnschuhe. Noch wichtiger war, dass Sadiq mir meistens etwas mitbrachte.
    – Hallo, Onkel, sagte ich. Es ist Sitte, einen älteren Mann mit Onkel anzusprechen, um Vertrautheit und Achtung auszudrücken. Falls der Mann älter ist als der eigene Vater, wird er Vater genannt.
    Sadiq zog verschwörerisch die Augenbrauen hoch und holte etwas aus seiner Tasche. Er warf es mir zu, und ich fing es auf, ehe ich sehen konnte, was es war. Eine Art Edelstein lag in meiner Hand. Er sah aus wie Glas, aber in seinem Innern waren strahlenförmige Streifen, gelb und schwarz, wie das Auge einer Katze. Er war so schön. Meine Augen tränten, als ich dastand und ihn anstarrte. Ich traute mich nicht zu blinzeln.
    – Er sieht nur aus wie ein Edelstein, gestand Sadiq, – er ist aber aus Glas.
    Er zwinkerte meinem Vater zu.
    – Er sieht aus wie ein Stern!, sagte ich.
    – Sag das auf Arabisch, forderte Sadiq mich auf.
    Sadiq wusste, dass ich in der Schule ein wenig Arabisch gelernt hatte, und er stellte mich oft auf die Probe. Ich versuchte zu antworten. – Biga ze gamar , stotterte ich.
    – Sehr gut, sagte Sadiq lächelnd. – Du bist der Klügste von Dengs Söhnen! Ich kann das sagen, weil die anderen nicht hier sind. Jetzt sag Allah Akhbar .
    Mein Vater lachte. – Sadiq. Bitte.
    – Du glaubst doch, dass Gott groß ist, oder, Deng?
    – Natürlich glaube ich das, sagte mein Vater. – Aber trotzdem, bitte.
    Sadiq starrte meinen Vater längere Zeit an, dann hellte sich seine Miene auf.
    – Verzeih. Ich habe nur Spaß gemacht.
    Er nahm die Hand meines Vaters und hielt sie locker umklammert.
    – So, sagte er. – Kann ich Achak jetzt aufs Pferd setzen?
    Beide Männer schauten zu mir herunter.
    – Natürlich, sagte mein Vater. – Achak, würde dir das gefallen?
    Meine Mutter hatte gesagt,

Weitere Kostenlose Bücher